«Kleingeist» am Waldrand - zum Ende des Ringlings

Manuel Pestalozzi
29. August 2016
Bild: Christian Mathis/NZZ

«Wohnen für alle am Grünwald» heisst die Website, auf der nicht nur die ganze Geschichte des Ringlings nachzulesen ist, sondern auch die Medienmitteilung und das Urteil des Bundesgerichts vom 10. August einsehbar sind. Hier erfährt man, dass die Stadt Zürich im Rahmen der Legislaturziele «10'000 Wohnungen» und «Wohnen für alle» für ihr Grundstück beim Rütihof, auf einem Hügelrücken nördlich des Limmattals, gemeinnützige Investoren gesucht hat. Ihr Auftrag bestand gemäss besagter Website darin, das Grundstück im Baurecht zu überbauen und sich zu verpflichten, die verschiedenen Wünsche der Stadt und der Quartierbevölkerung zu erfüllen.
 
Für die bis anhin landwirtschaftlich genutzte Wiese nahe das Waldrands haben die Stadt und die drei Bauträgerinnen, zwei Baugenossenschaft und eine Stiftung für Alterswohnungen, im Jahr 2005 einen zweistufigen Architekturwettbewerb durchgeführt. Aus diesem ging das Projekt Ringling von Schneider Studer Primas, Zürich, siegreich hervor. Das Projekt ist ein «Superblock» entlang der Ränder der Parzelle, der einen grossen, parkartigen Innenhof umschliesst. Seit dem Entscheid kämpfte eine Gruppe von Anwohnerinnen und Anwohner sowie grössere Immobilienbesitzer der Umgebung gegen den Ringling.
 
Die Einwände waren einerseits ästhetischer Natur, sie richteten sich aber auch gegen den zu gross empfundenen Massstabssprung. Das Bundesgericht orientierte sich bei seinem Entscheid am Kommentar einer Vorinstanz, dem Zürcher Baurekursgericht, welches in seinem Wortlaut Zweifel aufkommen liess, ob der Ringling wirklich eine «besonders gute Gestaltung aufweist», wie dies die Bau- und Zonenordnung für Arealüberbauungen verlangt. Haarspaltereien oder nicht: Letztlich desavouieren die Gerichte die Jury des Architekturwettbewerbs von 2005 und die Bauherrschaft, die dem Juryentscheid folgten. Für das Wettbewerbswesen ist das keine gute Nachricht.
 
Fehlende politische Sensibilität
Natürlich wird dieses für die Architekten überaus bittere Urteil rundum diskutiert. In den sozialen Medien beklagen Mitglieder der Gilde die Mediokrität der «Anderen», einige sehen die – offenbar indiskutabel lobenswerte – Verdichtung schlechthin in Gefahr. Leider endet das politische Engagement bei diesen Protestkundgebungen und fliesst nicht in einen allgemeinen gesellschaftlichen Diskurs ein. Sind sich Architektinnen und Architekten für die Niederungen der Politik zu gut, müssen sie sich nicht wundern, wenn sie zum Spielball der Kräfte werden. Kompromisslosigkeit ist das eine, diese in einer Demokratie und einem Rechtsstaat durchzusetzen, offenbar etwas ganz anderes.
 
Die links-grüne Regierung der Stadt Zürich erleidet nach dem negativen Volksentscheid zum Stadion Hardturm 2013 eine weitere Kanterniederlage. Bei ihr ist sicher auch im Fall Ringling ein Hauptteil der Verantwortung zu suchen. Das einstige Weinbauerndorf Höngg, 1934 gegen erhebliche Widerstände eingemeindet, gilt seit je als besonders rebellisch, bis vor kurzem gab es Kräfte, welche auf eine Abspaltung des Stadtquartiers hinarbeiteten. Hier mit obrigkeitlichem Segen eine Neuauflage des Wiener Karl Marx-Hofes zu planen, setzt einen auffälligen Mangel an Fingerspitzengefühl voraus.

Man kann sich noch so enervieren über das fehlende ästhetische Empfinden von Gerichten, die Grösse der Brieftasche von Gegnern oder über die fragwürdige Qualität der bestehenden Bebauung beim Rütihof, eines sollte man dabei nicht vergessen: Der Ringling vermittelte eine deutliche Botschaft. Sie lautete: Das hehre Ziel rechtfertigt einen Massstabssprung, jetzt wird nicht mehr gekleckert, jetzt muss geklotzt werden. Die Stadtregierung wollte hier ein politisches Statement realisieren, welches die Umgebung in Grösse und Ausdehnung dominiert und ihrer Wohnbaupolitik zu einem markanten Ausdruck verhilft – im Sinne der Grands Projets eines französischen Präsidenten. Zürich ist für den Moment noch nicht Paris.
 
Es ist zu früh um zu beurteilen, ob man Lehren aus dieser Geschichte ziehen kann. Wünschenswert wäre eine Debatte darüber, ob eine Stadt wie Zürich nur durch einen baulichen Massstabssprung ihre Stellung in der Welt halten kann, wie es gelegentlich angedeutet wird. Und wie man für diesen Massstabssprung einen politischen Konsens findet.
 

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