Licht, Schatten und Alternativen

Elias Baumgarten
18. April 2024
Künstliche Beschneiung hat einen hohen Energie- und Wasserbedarf und geht oft mit der zusätzlichen Errichtung von skitechnischer Infrastruktur im Hochgebirge einher. (Foto: © WWF, Anton Vorauer)

Jedes Wochenende dasselbe Bild: Blechlawinen wälzen sich ins Tessin. In den Städten und den malerischen Gebirgstälern des Südkantons wimmelt es dann vor Menschen, die sich durch die Gassen quetschen oder Handtuch an Handtuch an Seen und Flüssen liegen. Die Einheimischen leiden bisweilen unter den Menschenmassen. Und doch hat der Tourismus den wirtschaftlichen Aufstieg ihrer Region begünstigt: Bis in die Nachkriegszeit hatte im Tessin bittere Armut geherrscht, gerade die Täler konnten ihre Bewohner kaum ernähren. Das Beispiel des Südkantons zeigt, wie zweischneidig unser Urlaubsverhalten ist. Nach seinen Folgen fragt derzeit das Architekturzentrum Wien (Az W) mit der Ausstellung «Über Tourismus». Dargestellt werden sowohl die Auswirkungen auf die gebaute Umwelt als auch die Folgen für das soziale Gefüge und das Klima. Vieles davon ist eigentlich schon bekannt – etwa wie schädlich Kreuzfahrten und Flugreisen sind. Der grosse Mehrwert der Schau besteht darin, dass die Kuratorinnen Karoline Mayer und Katharina Ritter auch Positivbeispiele zusammengetragen haben: Sie zeigen, wie ein nachhaltiger Tourismus aussehen könnte, der nicht mehr dem Wachstumsparadigma folgt.

Im Sommer 2023 blockierten Demonstrierende 15 Minuten lang den Zufahrtstunnel nach Hallstatt in Österreich. Sie wollten auf die durch den Massentourismus hervorgerufene Verkehrsbelastung aufmerksam zu machen. (Foto: © Friedrich Idam)

«Über Tourismus» gliedert sich in acht Kapitel. Sie setzen sich mit unserem Reiseverhalten und den ökologischen Folgen auseinander, fragen nach den Auswirkungen des Klimawandels auf den Tourismus und diskutieren Prozesse der Abwanderung und Verdrängung. Sie widmen sich dem Run auf Naturschönheiten und zeigen anhand ausgewählter Beispiele die andauernde Hochrüstung von Hotels. Gestalterisch spielt die sehenswerte Ausstellung mit dem Motiv der Kulissen: Auf den Vorderseiten der Stellwände sind wegweisende Lösungsansätze zu sehen, auf den Rückseiten die Realität. 

Das erste Kapitel widmet sich dem Thema Mobilität: Mehr und mehr Menschen verreisen immer öfter, zu entfernteren Zielen und für kürzere Zeit. Das führt zu einer hohen CO2-Belastung durch die vielen An- und Abreisen über weite Strecken. Interessant: Das Az W-Team kritisiert die Mär, dank neuer, vermeintlich umweltfreundlicher Technologien wie dem Elektroauto müssten wir unser Verhalten nicht ändern. Die Geschichte zeige, so die Kuratorinnen, dass technische Verbesserungen in Wahrheit am Ende stets zu mehr Verkehr und höheren Belastungen führten.

Worin aber bestehen bessere Alternativen? Vorgestellt wird unter anderem das EuroVelo-Netz, das inzwischen aus 17 Radfernwegen durch ganz Europa besteht. Angebote wie dieses könnten das Fahrrad auch für Reisen interessant machen, so die Hoffnung – und wer weiss: Bikepacking liegt zurzeit im Trend, Velos mit Elektroantrieb machen lange Touren mit Gepäck für alle möglich. Diese Form des Reisens hat Potenzial – auch wenn sie bestimmt nicht den Geschmack aller Urlauber treffen wird. Auch radikalere Massnahmen werden den Besucherinnen und Besuchern erklärt: In Frankreich sind Inlandsflüge kurzerhand verboten, wenn sich die Strecke auch in maximal zweieinhalb Stunden mit der Bahn bewältigen liesse. 

Das 1901 erbaute Stationsgebäude von Alvaneu wurde von der Stiftung Ferien im Baudenkmal als Feriendomizil hergerichtet. (Foto: © Studio Gataric Fotografie)

In Kapitel sechs, das sich mit den immer höheren Ansprüchen an Hotels auseinandersetzt, die deswegen ständig umgebaut und «verbessert» werden, ist ein Vorzeigeprojekt aus der Schweiz zu sehen: die Arbeit der Stiftung Ferien im Baudenkmal, die 2005 vom Schweizer Heimatschutz gegründet wurde. Im ganzen Land übernimmt sie historisch wertvolle Gebäude, die sich in schlechtem Zustand befinden oder denen sogar der Abriss droht. Sie werden sanft renoviert und anschliessend Interessierten als Feriendomizile zur Verfügung gestellt – eine respektvolle, nachhaltige und auch lehrreiche Form des Tourismus: Die Einkünfte dienen dem Erhalt des baukulturellen Erbes, und das Verständnis der Gäste für die alten Bauten wächst. Sie lernen zudem regionale Geschichte und Tradition kennen. Die meisten kulturinteressierten Urlauber reisen über kurze Strecken aus der Schweiz an, im Ausland finden vor allem Deutsche Gefallen an dem Angebot.

Ein wunderbares Beispiel ist die Ca’ di Bifúi, ein historisches Steinhaus im Maggiatal, das kürzlich von der Stiftung instand gesetzt wurde. Das Baudenkmal vermittelt den Gästen Tessiner Geschichte und macht das einst harte Leben der Menschen in den Tälern anschaulich. Diese ernsthafte und wertschätzende Auseinandersetzung mit dem Südkanton, der dabei nicht bloss als «Sonnenstube» gesehen wird, ist ein wunderbarer Gegenentwurf zum Massentourismus entlang der Maggia.

Blick in die Ausstellung «Über Tourismus» (Foto: Lisa Rastl)

Und noch einmal ist die Schweiz Thema: Weil in Österreich der Tourismusboom in einigen Dörfern zur Abwanderung der einheimischen Bevölkerung führt, die sich Wohnraum dort nicht mehr leisten kann, wenden sich die Kuratorinnen dem Zweitwohnungsgesetz zu. Sie sehen in ihm eine vorbildliche Massnahme, die den Ausverkauf der Heimat stoppt. Die Schweizer Beispiele sind Teil einer Vielzahl von Ansätzen aus Österreich und dem nahen und fernen Ausland. – Es gibt viel Inspirierendes zu entdecken, die Reise nach Wien lohnt sich. 

Die Ausstellung ist noch bis zum 9. September geöffnet. Beim Zürcher Verlag Park Books ist ausserdem ein Buch zum Thema erschienen, das von Az W-Direktorin Angelika Fitz und den Kuratorinnen Karoline Mayer und Katharina Ritter herausgegeben wurde.

 

Über Tourismus

Über Tourismus
Angelika Fitz, Karoline Mayer und Katharina Ritter (Hrsg.)

164 × 240 Millimeter
400 Seiten
261 Illustrationen
Broschiert
ISBN 978-3-03860-362-7
Park Books
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