Wohnen mit dem Hof im Haus – Wohnhaus

9. January 2009

Wohnhaus mit
Nebengebäuden und Hof
2008

Via Ligaino 14
Pregassona TI

Bauherr
Silva und Raffaele Pedrozzi
Pregassona

Architektur
Martino Pedrozzi
Mendrisio

Bauingenieur

Ingegneri Pedrazzini
Lugano

Auftragsart
Direktauftrag

Aus dem alten Gemäuer ist ein Geflecht von Innen- und Aussenräumen geworden.

Zimmer zum Himmel
In diesem von unansehnlichem Durchschnitt durchwirkten Umfeld ist die Umgestaltung eines schätzungsweise 400 Jahre alten Bauernhofes im Nucleo von Pregassona eine auffallende Ausnahmeerscheinung. Der Tessiner Architekt Martino Pedrozzi, selbst aufgewachsen in einem der Nachbarhäuser, hat in einem zweijährigen Transformationsprozess Ställe, Scheunen und ein Wohnhaus mit viel Gespür für das Vorgefundene zu einem abwechslungsreichen Konglomerat von Innen- und Aussenräumen umgebaut. Die Häuser des Ensembles sind nach und nach über die Jahrhunderte erbaut worden und scharen sich um einen zentralen Hof — das einzige räumliche «Loch» im kompakten Dorfkern und auch nach dem Umbau Dreh- und Angelpunkt des Anwesens. Drei kleinere Ställe, die vor zwanzig Jahren ausgebrannt waren und von denen nur noch die steinernen Aussenmauern stehen, hat Pedrozzi als Aussenräume in die Hofgestaltung mit einbezogen. Er entfernte übrig gebliebene Decken, ergänzte das Mauerwerk und pflanzte in die leeren Räume spanische Korkbäume. Aus den Ruinen sind nach oben offene «Zimmer» geworden: Eines dient provisorisch als Remise für Gartenwerkzeug, eines bietet Platz für einen Tisch und der dritte Raum könnte das Vestibül sein, denn durch dieses Vorzimmer erreicht man den Hof von der Gasse aus. Engere und weitere, begrenzte und offenere Räume wechseln sich ab. Der Architekt hat es vermieden, die aufgefrischten Ruinen zu einer romantischen Kulisse zu machen. Er beseitigt die pittoreske Unregelmässigkeit, indem er die Mauern alle auf die gleiche Höhe — die ehemalige Trauflinie — trimmt. Genauso pragmatisch ist der Umgang mit der angrenzenden Scheune. Ohne viel Aufwand richtet Pedrozzi ein Atelier ein, entfernte hier eine hässliche Fensterbank aus Beton und besserte dort den Holzboden aus. Die Scheune gehört jetzt wie der Hof und die Gartenzimmer zum vielfältigen Raumangebot der Anlage.

Auf das weisse Papier der Fassade notierte der Architekt scheinbar zufällig die Fenster.

Alphabet aus Fenstern
Der weitaus anspruchvollste Part des Umbaus betraf jedoch das Wohnhaus. Seine leuchtend weisse Hülle hebt es aus den umgebenden Bauten heraus. Das schwere und dicke Mauerwerk wird von scheinbar zufällig angeordneten, grösseren und kleineren Öff-nungen durchbrochen. Die Fassade wirkt rein wie ein unbeschriebenes Papier, auf das der Architekt ein Alphabet aus Fenstern notiert hat. Feine Holzrahmen fassen die Gläser ein, von denen kein einziges unterteilt ist. Der schlichten Komposition von Flächen und Tiefenwirkung fehlt jeder Aspekt von Technik und Angestrengtheit.  Hinter der homogenen Hülle verbirgt sich indessen eine aufregende Raumfolge; die Unregelmässigkeit der Fenster deutet es an. Bei dem tief greifenden Umbau verfolgt Martino Pedrozzi drei Grundsätze und braucht nur wenige architektonische Elemente: Erstens, es gibt kein Treppenhaus und keine Korridore; zweitens, alle Zimmer werden gleich behandelt und drittens, auf einen inszenierten Kontrast Alt-Neu wird verzichtet.

Neue Decken
Zunächst wurde das Haus bis auf die tragenden Mauern ausgekernt; ein an sich konventionelles Verfahren, das bei diesem Gebäude zu einer überraschenden Lösung führte. Ohne Geschossdecken blieben vier Räume vom Boden bis unters Dach übrig. Vier Schächte, fest umschlossen von dicken Wänden. In dem scheinbar starren Gemäuer steckt ein Potenzial, das mit dem Arrangement neuer Decken freigelegt wird. Hier setzt das erste Prinzip ein und legt die Raumfolge und das Wegnetz fest. Ohne Deckendurchbrüche und zentrale Erschliessung entsteht ein hierarchieloser Parcours durch das Haus. Jede Kammer hat sowohl statische wie dynamische Eigenschaften, ist Aufenthalts- und Durchgangsraum zugleich. Zur Verbindung braucht es eine mannshohe Öffnung in der Wand und davon ausgehend eine Treppe in den tiefer gelegenen Raum — mehr nicht. Und so bewegt man sich von Zimmer zu Zimmer, steigt eine Treppe hinauf, durchquert die Küche, um ein paar Stufen weiter oben im Esszimmer zu landen, von wo aus zwei weitere Treppen abzweigen. Eine andere Route wäre also auch möglich gewesen, das ganze Haus scheint aus Wegen und Pfaden zu bestehen. Fast unmerklich nimmt von unten nach oben die Privatheit zu. Auf dem obersten Niveau endet der Parcours in einem Raum mit vier Türen, dahinter liegen die Schlaf- und Badezimmer.

Gleicher Ausbau
Dass es einem vor lauter Bewegung nicht schwindelig wird, liegt am zweiten Prinzip Pedrozzis. Alle Räume sind gleichwertig ausgestattet, homogen weiss gestrichen, haben den gleichen Bodenbelag aus blank geschliffenen Betonsteinen, den gleichen Typ Fenster und die gleiche Treppenkonstruktion. In der Ausdehnung und Proportion unterscheiden sie sich allerdings gewaltig: Die zweigeschossige Bibliothek liegt neben einer geduckten Kammer mit einer kleinen Feuerstelle, diese wiederum neben dem Entree, das anderthalb Geschosse in die Höhe ragt. Ein Raum kann nur ein Fenster haben, dafür ein sehr grosses, oder aber mehrere kleine. Am monotonen, ruhigen Charakter der Räume ändert das nichts. Die Gleichmässigkeit ist das Gegenprogramm zur Bewegung.


Kein Alt-Neu-Kontrast
Fehlt noch das dritte Prinzip, das logisch aus dem zweiten folgt. Umbauten dieser Art verleiten die Architekten oft zu didaktischen Lektionen. Neben das Alte wird das Neue gestellt, gerne mit einem starken Materialkontrast und am liebsten mit einer gut sichtbaren Fuge, damit es auch der Hinterletzte begreift. «Tradition und Moderne» nennt sich das dann, doch Martino Pedrozzi verweigert sich konsequent dieser Haltung. In seinem Haus sind Alt und Neu nicht mehr unterscheidbar, alles wird eins, alles ist weiss. Das Gebäude hat sich von Grund auf verändert, und doch ist es das Alte geblieben. Der zuvor ärmliche Bauernhof hat sich zu einem zeitgemässen Wohnhaus mit einem komplexen System von Aussenräumen verpuppt. Letztlich profitiert der ganze Dorfkern von dem weissen Haus, das dem Würgegriff der belanglosen Agglomeration trotzig die Stirn bietet.

Situationsplan Dorfkern Pregassona
Niveau 2
Niveau 1
Erdgeschoss

Wohnhaus mit
Nebengebäuden und Hof
2008

Via Ligaino 14
Pregassona TI

Bauherr
Silva und Raffaele Pedrozzi
Pregassona

Architektur
Martino Pedrozzi
Mendrisio

Bauingenieur

Ingegneri Pedrazzini
Lugano

Auftragsart
Direktauftrag

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