Tannzapfen in Backstein

JOM Architekten
4. April 2024
Während das neue Mehrfamilienhaus auf der Strassenseite geschlossen ist, fächert es sich zum Garten hin auf. (Foto: Hans-Jörg Walter)
Herr Oeschger, worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?


Eine städtebauliche Verdichtung entlang der Haupteinfallachse durch Zürich-Witikon auf einer knapp 1'138 Quadratmeter grossen Parzelle zu realisieren, war in Kombination mit dem Lärmschutz und einer fixen Vorstellung der Bauherrschaft zur Materialisierung eine Knacknuss. Doch genau solche Herausforderungen mögen wir: Aus all diesen Rahmenbedingungen eine eigenständige architektonische Lösung für dieses Mehrfamilienhaus zu entwickeln, hat Spass gemacht. 

Das Haus verfügt über grosse Balkone – genauer gesagt, über zwei für jede Wohnung. In die Absturzsicherungen wurden Pflanztröge integriert, denn die Bauherrschaft wünscht sich eine begrünte Fassade. (Foto: Elisa Florian)
Detail der Fassade (Foto: Elisa Florian)
Welche Inspiration liegt diesem Projekt zugrunde?


Das Bild des Tannzapfens schälte sich früh im Prozess als konzeptionelle Referenz heraus: Zur Witikonerstrasse hin ist unser Haus geschlossen, was vor Lärmemissionen schützt. Zum Garten fächert es sich dagegen auf und tritt vielgliedrig in Erscheinung. Im Umgang mit der Geometrie und der Gestaltung der Balkone lagen zu einem gewissen Zeitpunkt wohl auch einige Darstellungen der Bauten von Häring, Sharoun und Aalto auf dem Tisch. Wirklich eingegangen sind wir auf die unprätentiösen Sichtbackstein-Wohnhäuser aus den 1980er- und 1990er-Jahren im Quartier, die unser Auftraggeber mag. 

Für die vertikalen Fassadenbänderungen des Hauses haben die Architekten einen eigenen Mauerverband mit doppelten Läuferschichten unterschiedlicher Steinhöhen gestaltet. (Foto: Elisa Florian)
Wie hat der Ort auf den Entwurf eingewirkt?


Eine starke Präsenz entlang der Witikonerstrasse ist durch die Topografie gegeben: Nach dem Haus beginnt sich die Strasse hangabwärts zu neigen, bis zum Stadtzentrum hin. Die Strassenfassade ist nach Süden ausgerichtet. Wir gestalteten für die Mittelpartie der Attika-Gaube mit unseren Lernenden eine Sonnenuhr als Kunst-am-Bau-Projekt. 

Das Haus ist als Vierspänner organisiert. Damit die Wohnungen von möglichst vielen Himmelsrichtungen profitieren, entwickelten wir im Grundriss jeweils zwei Balkone pro Zwei- oder Dreizimmerwohnung. 

Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren Nutzer*innen den Entwurf beeinflusst?


Wie eingangs erwähnt, hatte der Auftraggeber eine fixe Vorstellung von der Materialität mit Sichtbackstein und einem abstrakten «Weiss». Auch wünschte er sich eine Fassadenbegrünung mit integrierten Pflanztrögen. Hierfür entwickelten wir im Rahmen der baurechtlichen Rahmenbedingungen eine Geometrie mit dreieckigen Trögen, welche in die Absturzsicherung der Balkone integriert sind und zudem einen gewissen Sichtschutz bieten.  

Blick in die Küche einer Wohnung (Foto: Elisa Florian)
In der Eingangshalle wird das Material Backstein mit einer blumenartigen Gestaltung um die Leuchten gefeiert. Ein Spiegel vervielfältigt das Motiv. (Foto: Elisa Florian)
Gab es bedeutende Projektänderungen vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Bauwerk?


Eine öffentliche Nutzung des Erdgeschosses war immer ein Thema. Ursprünglich wollte die Auftraggeberschaft ein Restaurant oder ein Bistro realisieren, eine Art «Quartierbeiz». Aber aufgrund der Pandemie und der Lage liess sich kein Betreiber finden. Dennoch wurden die Vorinvestitionen in die für einen Gastrobetrieb erforderliche Haustechnik getätigt, um die Aufwärtskompatibilität zu gewährleisten. Derzeit ist die Fläche als Büro ausgewiesen. 

Wie gliedert sich das Gebäude in die Reihe der bestehenden Bauten Ihres Büros ein?


Wir werden wahrgenommen als Architekturstudio, das einen starken Fokus auf die Nachhaltigkeit legt. Da erwartet man vielleicht kein polygonales Haus mit zweischaligem Mauerwerk. Wenn man unsere kleinen Umbauprojekte mit hohem handwerklichem Anspruch studiert, versteht man eher die Fortsetzung einer Reihe. Denn bei unseren Umbauten haben wir gelernt, welchen Wert die bestehende Bausubstanz verkörpert. 

Detail des Mauerwerks; das Material Backstein wurde auch auf Wunsch der Bauherrschaft verwendet. Um den ökologischen Fussabdruck der Steine zu verbessern, liessen die Architekten sie mit Biogas brennen. (Foto: Elisa Florian)
Beeinflussten aktuelle energetische, konstruktive oder gestalterische Tendenzen das Projekt?


Eine weitere Vorgabe der Bauherrschaft war ihr Wunsch nach einer kontrollierten Wohnungslüftung. Um den Technisierungsgrad möglichst niedrig zu halten, entwickelten wir mit den Fachplanern eine aufs Minimum reduzierte Lösung: Die Zuluft wird vom Vertikalstrang bei den Nasszellen über eine abgehängte Decke an die angrenzenden Zimmerwände geführt, die Abluft in den Nasszellen abgesogen. Die Leitungsführung ist auf den mittleren Kern des Hauses begrenzt – wie ein Organismus mit Wirbelsäule und Nervenbahnen. Aus diesem Grund gibt es keine Lüftungseinlagen in der Betondecke. Für den Mietwohnungsbau konnte die Deckenstärke auf 22 Zentimeter reduziert werden, was wiederum CO2 in der Erstellung einspart. 

Um die Leuchten in der Eingangshalle herum sind die Backsteine aufgeschnitten. (Foto: Elisa Florian)
Welches Produkt oder Material hat zum Erfolg des vollendeten Bauwerks beigetragen?


Das Material Backstein hat uns gestalterisch und technisch gefordert. Wir entwickelten für die vertikalen Fassadenbänderungen einen eigenen Mauerverband mit doppelten Läuferschichten unterschiedlicher Steinhöhen. Das Material wird in der Eingangshalle zelebriert und mit aufgeschnittenen Backsteinen in Blumenform um die Lampen in den Verband integriert. Diese Wand wird durch einen grossen Spiegel wiederum reflektiert. 

Technisch gesehen ist der Backstein ein durchaus ökologisches Material, weil er einerseits aus lokalem Lehm besteht und andererseits im Gegensatz zum Klinker bei niedrigeren Temperaturen gebrannt wird. Von der Ziegelei Schuhmacher haben wir die Charge für unser Haus sogar mit Biogas brennen lassen. Damit die Bauwende gelingt, sollten Architekt*innen bei allen Materialien gemeinsam mit den Produzenten nach neuen, besseren Lösungen suchen.

Situation (© JOM Architekten)
Grundriss Erdgeschoss (© JOM Architekten)
Grundriss Regelgeschoss (© JOM Architekten)
Grundriss Attikageschoss (© JOM Architekten)
Querschnitt (© JOM Architekten)
Längsschnitt (© JOM Architekten)
Bauwerk
Ersatzneubau MFH «Tannzapfen»
 
Standort
Witikonerstrasse 375, 8053 Zürich
 
Nutzung
Mehrfamilienhaus
 
Auftragsart
Direktauftrag
 
Bauherrschaft
Privat
 
Architektur
JOM Architekten, Zürich
Verantwortlicher Partner: Stefan Oeschger
Projektleitung: Michel Gränicher
Projektteam: Lukas Dinten, Camille Gross und Graziella Gini
 
Fachplaner
Baumanagement: Meili Partner GmbH, Zürich 
Tragwerksplanung: Henauer Gugler AG, Zürich
Elektroplanung: Gutknecht Elektroplanung AG, Au
HLKS-Planung: Fritz Gloor AG, Wetzikon
Umgebung: Widmer Gartenbau AG, Zollikon
Baugrund: CSD Ingenieure AG, Zürich
 
Fertigstellung
2023 
 
Gebäudevolumen
6'527 m3 (gemäss SIA 416) 
 
Energiestandard
Minergie-P zertifiziert, gebaut nach ECO-Kriterien (ohne Zertifizierung)
 
Kunst am Bau
JOM Architekten: Sonnenuhr an Südfassade
 
Massgeblich beteiligte Unternehmer
Abbrucharbeiten: Kuster Rückbau AG, Oberhasli
Erd- und Spezialtiefbau: Terratech AG, Zürich
Baumeisterarbeiten: Günter AG, Hombrechtikon
Fassade, Metall: Blaser Metallbau AG, Andelfingen
Fenster: Bresga Fenster AG, Egnach
Garagentor: Oberland Torcenter GmbH, Wetzikon
Bedachung: Tecton AG, Zürich
Sonnenschutz: Renova Roll AG, Samstagern
Elektroinstallationen: Schibli AG, Zürich
Photovoltaik: Schibli AG, Zürich
Heizungsanlagen: Hangartner Planung AG, Bassersdorf
Lüftungsanlagen: Max Keller AG, Bubikon
Sanitärinstallationen: Horber & Partner GmbH, Uster
Küchen: KLS Müller AG, Wallisellen
Aufzug: AS Aufzüge AG, Wettswil
Gipser: Salvini AG, Zürich
Schreiner: Keller die massschreiner GmbH, Wolfhausen
Türen: RWD Schlatter AG, Roggwil
Parkett: Gebrüder Spühler Parkett GmbH, Gossau
Holzroste: Genossenschaft Handwerkskollektiv HK, Zürich
Unterlagsböden: Amendola AG, Wollerau
Plattenarbeiten: Hastro AG, Meilen
Maler: Emil Hirt AG, Zürich
Baureinigung: Pronto Clean GmbH, Schlieren
Umgebungsarbeiten: Widmer Gartenbau AG, Zollikon
 
Fotos
Elisa Florian

Vorgestelltes Projekt

EBP AG / Lichtarchitektur

Schulanlage Walka Zermatt

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