Der Lohn der Beharrlichkeit

Elias Baumgarten
14. Dezember 2023
Blick vom Spielgarten auf den neuen Doppelkindergarten von Lostorf: Zwei Holzbauten docken sich an ein umgestaltetes Bestandsgebäude an. (Visualisierung: © Luce)

Dass Erfolg nicht über Nacht kommt, ist ein abgedroschenes Sprichwort. Doch junge Architekt*innen brauchen zuweilen enorme Ausdauer und einen eisernen Willen, um sich zu etablieren – Filippo Berardi und Lucia Miglio sind dafür das beste Beispiel: Nach ihrem Studium an der Accademia di architettura in Mendrisio kamen sie nach Zürich. Die Anfangszeit dort war hart: Neben der Arbeit mussten sie Deutsch lernen – in Abendkursen büffelten sie oft bis spät in die Nacht. Trotz ihrer guten Ausbildung mussten sie sich zunächst mit Praktikantenverträgen zufriedengeben. Doch sie bissen sich durch und passten sich der Deutschschweizer Kultur an. 2019 gründeten sie ihr eigenes Büro – mit dem erklärten Ziel, Wettbewerbe zu gewinnen. Sie investierten viel, kombinierten zunächst Nachtschichten mit Teilzeitanstellungen. Bald wurden sie mit guten Platzierungen belohnt, doch zu ihrem ersten eigenen Bauprojekt kamen sie über einen Direktauftrag: Für eine karitative Organisation gestalteten sie eine Schulanlage in einem kleinen Dorf nördlich von Kathmandu. Obwohl sie wegen der Corona-Pandemie den Bau nur aus der Ferne verfolgen konnten und einiges anders als abgesprochen umgesetzt wurde, machten sie die fünf himmelblauen Baukörper bekannt. Ihre Wettbewerbsbeiträge wurden besser und besser, mehrere landeten voriges Jahr auf Rang zwei, zum Beispiel ihr Vorschlag für das Kirchgemeindehaus Liestal. Und nun der Durchbruch: Direkt nacheinander gewannen Filippo Berardi und Lucia Miglio die Wettbewerbe für den Kindergarten am Palmenweg in Tägerwilen und den neuen Doppelkindergarten von Lostorf.

Das bestehende Wohnhaus mit Werkstatt am Schulweg 1 in Lostorf bildet zusammen mit den Nachbarbauten ein Ensemble. Die Ergänzungen von Filippo Berardi und Lucia Miglio stärken die Anlage. (Situation: © studio berardi miglio)

In Lostorf fehlt es an Raum für Kindergartenkinder, ausserdem ist der Kindergarten Kirchmatt am Ende seines Lebenszyklus angelangt. Abhilfe soll ein Ersatzbau am Schulweg 1 schaffen. Dazu hat der Gemeinderat einen Architekturwettbewerb ausgelobt, den Filippo Berardi und Lucia Miglio gewinnen konnten. In ihrem Entwurf schlagen sie vor, das Wohnhaus mit Werkstatt, das heute auf dem Grundstück steht, zu erhalten, denn es bildet mit den Nachbarbauten ein Ensemble. Lediglich einige Anbauten sollen abgebrochen werden. Das kommt dem Ortsbild zugute, schont die Umwelt und bringt auch wirtschaftliche Vorteile mit sich. Die abzureissenden Gebäudeteile weichen zwei Erweiterungsflügeln in Holzbauweise. Die eingeschossigen Baukörper mit Flachdächern docken westlich und nördlich an den Altbau an. Betreten wird man den neuen Kindergarten über den westlichen Flügel sowie einen gedeckten Eingang an der Südfassade des Bestandsbaus. Der Eingangsbereich ist ortstypisch eingefriedet gestaltet und scheint auf die Vorgärten im Dorf Bezug zu nehmen.

Das alte Haus wird saniert und umgebaut. Neu nimmt es im Erdgeschoss Garderoben und die Nebennutzungen auf. Das Obergeschoss wird über einen Kern mit Treppe und Lift erschlossen. Dort können bei Bedarf Angebote wie ein Mittagstisch oder eine frühe Sprachförderung geschaffen werden. Die Unterrichts- und Gruppenräume finden derweil in den beiden neuen Pavillons Platz. Auf der Rückseite des Komplexes entsteht ein geschützter, vom Strassenraum abgeschirmter Spielgarten, zu dem auch eine alte Scheune gehört. Sie wird zukünftig als Lager dienen. Ein schöner Nebeneffekt: Sie fasst den Spielgarten im Norden. Die Aussenräume hat das Zürcher Büro USUS Landschaftsarchitektur gestaltet.

Grundriss Erdgeschoss (© studio berardi miglio)
Grundriss Obergeschoss (© studio berardi miglio)

Filippo Berardi und Lucia Miglio setzen den Bestandsbau geschickt als Scharnier zwischen den beiden Kindergärten ein. Die Holzkonstruktionen der Pavillons wirken leicht, die neuen Unterrichtsräume mit grossen Fenstern erhalten von zwei, teils sogar von drei Seiten natürliches Licht und lassen sich gut durchlüften. Sie sind auf den gemeinsamen Spielgarten ausgerichtet, sodass das Lehrpersonal leicht den Überblick behalten kann. Mit seiner Formensprache und seiner Farbigkeit lässt sich das Projekt unschwer den beiden jungen Architekturschaffenden aus Italien zuordnen: Es erinnert etwa an die Entwürfe für die Mehrzweckhalle Lauchetal (zweiter Platz im Wettbewerb) oder auch den erwähnten Kindergarten von Tägerwilen. Es gefällt, wie Filippo Berardi und Lucia Miglio mit dem Bestand umgehen und das vorgefundene Ensemble mit ihren Ergänzungen in seiner Wirkung stärken. An dieser Stelle zeigt sich ein weiteres Mal, dass ihre Ausbildung im Tessin die beiden bis heute prägt.

Längs- und Querschnitt (© studio berardi miglio)

Zurzeit bearbeiten sie ihren Entwurf weiter. Läuft alles nach Plan, wird der neue Doppelkindergarten 2025 bezugsbereit sein. Doch zuerst muss die Bevölkerung dem Vorhaben im kommenden Jahr noch zustimmen. In Tägerwilen haben die Stimmberechtigten den Vorschlag für ihren neuen Kindergarten unterdessen bereits mit grosser Mehrheit angenommen: 228 Personen stimmten dem Kredit zu, nur 14 waren dagegen. Die Bauarbeiten in der Thurgauer Gemeinde sollen 2026 beginnen. Der Holzbau wird den heutigen Pavillon des Kindertreffs neben der Gemeindewiese ersetzen. Für Filippo Berardi und Lucia Miglio sind die beiden Siege, für die so hart gearbeitet haben, ein weiterer Meilenstein auf ihrem hoffentlich noch langen Erfolgsweg.

So wird der Kindergarten am Palmenweg in Tägerwilen dereinst aussehen. Die Bevölkerung hat den Kredit für den Neubau mit deutlicher Mehrheit angenommen. (Visualisierung: © Flooer)

Daniela Meyer hat Filippo Berardi und Lucia Miglio in ihrem Büro besucht, um ihre Haltung und Arbeitsweise kennenzulernen. Zum Porträt

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