Wertschätzung für das Vorhandene, Offenheit für das Neue

Elias Baumgarten
2. November 2023
Foto: Elias Baumgarten

Für eine Monografie, die Freude bereitet, bedarf es wenig: Schöne Fotografien, eine ästhetische Buchgestaltung, die zur Haltung der Architektin oder des Architekten passt, und kurzweilige Texte, die ein vertieftes Verständnis ihrer beziehungsweise seiner Arbeit ermöglichen. Dass er sich auf die Konzeption solcher Bücher versteht, hat Axel Simon bereits mit der Monografie zur Architektur Adrian Streichs bewiesen, die ich hier vor mittlerweile über drei Jahren präsentierte. Nun hat er ein Buch über Armando Ruinellis Werk herausgegeben. Und auch dieses gefällt sehr – nicht umsonst wurde es eben erst beim Buchpreis des Deutschen Architekturmuseums (DAM) ausgezeichnet. Allerdings gibt es bei allem Lob auch etwas Kritik anzubringen. 

Doch der Reihe nach. Das Buch umfasst 18 Bauten Ruinellis, dazu einen Fotoessay von Katalin Deér und drei Gespräche. Das Zürcher Grafikdesign-Studio Herendi Artemisio hat die Monografie wundervoll gestaltet. Die aufgeräumten Seiten mit viel Weissraum sind ästhetisch und passen hervorragend zum Inhalt. Sehr gelungen ist auch der Umgang mit deutscher und italienischer Sprache: Dank unterschiedlicher Farbigkeit gelingt es mühelos, die beiden Sprachversionen beim Lesen auseinanderzuhalten. Und überhaupt: Eine Wohltat, dass die oft stiefmütterlich behandelte Landessprache Italienisch in den Vordergrund rückt. Dass zwei Landessprachen gewählt wurden, statt eine englische Version einzuführen, mag gegen die zurzeit vorherrschende Mode sein, doch gefällt mir dafür umso besser.

Foto: Elias Baumgarten
Foto: Elias Baumgarten

Das Buch beginnt mit dem besagten Bildessay von Katalin Deér. Die Aufnahmen sind aufgrund ihrer Ästhetik und des besonderen Blickwinkels auf die Architektur sofort der Künstlerin zuzuordnen. Sie zeigen Ruinellis Bauten, doch vor allem vermitteln sie die Atmosphäre, die diese erzeugen. Die Fotografien bewegen, sie lassen einen bereits begreifen. Besser als es jeder Einleitungstext könnte, stimmen sie einen auf die folgende Lektüre ein.

Einen schalen Beigeschmack hinterlässt bei mir als Leser jedoch leider, dass zwei der drei Gespräche im Buch bereits vorab in den Magazinen Archalp (2020) und Bauwelt (2011) erschienen. Im Fall der Debatte zwischen Armando Ruinelli und Gion A. Caminada macht der Inhalt das rasch vergessen. Die Architekten diskutieren ihr gestalterisches und politisches Handeln zwischen Verändern und Bewahren, zwischen Dorferneuerung und Ortsbildschutz. Beide liefern dabei eine Vielzahl interessanter Aussagen, die zum Nachdenken anregen und intellektuell stimulieren. Geblieben ist mir etwa eine Beobachtung Caminadas, mit der er letztlich dafür wirbt, auch mal prägnant in historischen Bestand eingreifen zu dürfen: Man würde zuweilen, sagt er, Wandmalereien, die einst aus einer religiösen Haltung heraus überdeckt wurden, wieder zum Vorschein bringen – ohne einen Bezug zu ihnen zu haben, sondern sozusagen als Dekoration. Wir zelebrieren heute – längst nicht nur in der Architektur – Dinge, weil wir sie schön finden, doch ohne vertieftes Verständnis für ihre Bedeutung. Zudem ist der Beitrag von Ludmila Seifert mit penibler Gründlichkeit ausgearbeitet, liest sich kurzweilig und lebendig, ja fesselnd. Mehr kann man sich von einer niedergeschriebenen Diskussion nicht wünschen.

Foto: Elias Baumgarten
Foto: Elias Baumgarten

Mühe habe ich indes mit dem in der Bauwelt veröffentlichten Interview von Florian Aicher. Zwar erfährt man hier Essenzielles über Armando Ruinellis Anfänge als Architekt, die Entwicklung seines Werks und seine Rolle im Dorf Soglio, doch die Leseerfahrung überzeugt nicht im selben Masse wie der Inhalt: Nachdem der Beitrag vergnüglich-lebendig begonnen hat, beschleicht einen später – gerade im direkten Vergleich mit jenem von Ludmila Seifert – bisweilen das Gefühl, einen blossen Mitschnitt zu lesen.

Und doch: «Armando Ruinelli Architekten: Bauten 1982–2022. Leggere il tempo» ist ein gelungenes Buch. Es gibt viele gute Gründe, es seiner Bibliothek hinzuzufügen: Die Aktualität von Armando Ruinellis Architektur in einer Zeit, da das Weiterbauen zu der Bauaufgabe avanciert. Die Qualität seiner Bauten. Die Güte der Darstellung der Projekte mit Fotos, Plänen und teils sogar O-Tönen der Bauherrschaften. Die inspirierende und hochaktuelle Debatte zwischen Armando Ruinelli und Gion A. Caminada. Der Bildessay von Katalin Deér. Und gewiss auch die grossartige Buchgestaltung, die schon für sich ein Genuss ist.

Foto: Elias Baumgarten
Foto: Elias Baumgarten
Armando Ruinelli Architekten: Bauten 1982–2022. Leggere il tempo

Armando Ruinelli Architekten: Bauten 1982–2022. Leggere il tempo
Axel Simon (Hrsg.)

210 x 280 Millimeter
248 Seiten
351 Illustrationen
Broschiert
ISBN 978-3-03860-320-7
Park Books
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