«Architecture and Art»: Wie Kunst den Architekturbegriff erweitert

Evelyn Steiner
1. Februar 2023
Lara Almarcegui, Bauschutt des spanischen Pavillons, 2013, 55. Biennale von Venedig. (Foto: Ugo Carmeni)

Wie setzen sich zeitgenössische Künstler*innen mit Architektur auseinander? Dass dabei nicht nur Kunst-und-Bau-Projekte resultieren, verdeutlichte das Kolloquium «Architecture and Art» vom 16. Januar am Architekturdepartement der ETH Zürich. Die Veranstaltung fand im Rahmen der Neubesetzung der Professur für Architektur und Kunst statt, die bisher Karin Sander innehatte. Shirana Shahbazi, Rosa Barba, Lara Almarcegui, Sarah Oppenheimer, Michael Beutler, Dehlia Hannah und Julius von Bismarck sowie Alexandra Bachzetsis kamen in die engere Auswahl und haben ihren Werkkomplex auf dem Hönggerberg vorgestellt. 

Die international tätigen Kunstschaffenden illustrierten, wie vielfältig der künstlerische Dialog mit der gebauten Umwelt sein kann und wie weit sie das Verständnis von Architektur fassen. So standen in einem Grossteil der präsentierten Arbeiten die politischen und sozialen Bedingungen des Raumes im Zentrum, wie etwa die kritische Auseinandersetzung mit (post)industriell überformten Landschaften oder das Ausloten des Verhältnisses von Körper, Raum und Maschine. Trotz der Diversität der einzelnen Positionen hinsichtlich ihrer Medialität und der gewählten Themen scheint sie das Hinterfragen von traditionellen binären Beziehungen, etwa zwischen Natur und Kultur, zu vereinen.

Sarah Oppenheimer, «N-01» in der Ausstellung «Stahl, Glas und Architektur», Kunstmuseum Thun, 2020 (Foto: © Serge Hasenböhler, Kunstmuseum Thun, 2020)

Den Anfang machte die in Zürich wohnhafte Fotografin Shirana Shahbazi (*1974). Die Verhandlung von Raum manifestiert sich in ihrer Arbeit in hybriden Bildwelten: von der Fotoserie «Tehran North» (2015), einer kaleidoskopischen Schwarz-Weiss-Vision der Stadtlandschaft Teherans aufgenommen aus einem Auto, bis zur Auseinandersetzung mit dem Ausstellungsraum. So hat sie beispielsweise in ihrer Einzelausstellung in der Kunsthalle Bern (2014) die Räume mittels präzise gewählter Wandfarben in ein umfassendes Gefüge aus Bild und Raum überführt. 

Die New Yorker Künstlerin Sarah Oppenheimer (*1972) hingegen schafft ortsspezifische Installationen, die durch die Veränderung einzelner architektonischer Elemente die Wahrnehmung des Betrachters manipulieren. Dies verdeutlichte sie anhand verschiedener Ausstellungen wie im Kunstmuseum Thun (2020) und Workshops an der Universität Yale: Die Teilnehmer*innen verstärkten ihre körperliche Erfahrungen mit digitalen und analogen Werkzeugen wie einer Prothese. 

Eine andere Perspektive auf die Schnittstellen zwischen Kunst und Architektur zeigte der in Berlin lebende Künstler Michael Beutler (*1974): Seine raumgreifenden Interventionen entstehen jeweils in Bezug zu den lokalen Gegebenheiten. Den Ausgangspunkt bilden meist selbst gebaute Apparaturen zwischen Spezialwerkzeug und autonomer Skulptur, die einfache Arbeitsabläufe ausführen. Mit seinem partizipativen Projekt «Råby Planet» (2018) hat er den institutionellen Raum ganz verlassen: Im Rahmen eines Festivals in Schweden wurde ein fünf Meter grosser Ball mithilfe der örtlichen Bevölkerung durch den Wald gerollt und danach in einem Schrein aufbewahrt, der nun als Denkmal auf die Aktion hinweist.

Die Durchdringung von Natur, Mensch und konstruiertem Raum wird besonders deutlich in den Arbeiten von Rosa Barba, Lara Almarcegui oder Julius von Bismarck. Die ebenfalls in Berlin tätige Künstlerin und Filmemacherin Rosa Barba (*1972) setzte in ihrem Vortrag einen Schwerpunkt auf Landschaften und Geopolitik. In ihrer Serie «White Museum» (seit 2010) beispielsweise wird ein Innenraum des jeweiligen Ausstellungsgebäudes kurzerhand zur Projektionskabine, aus der ein Filmprojektor ein quadratisches Feld aus weissem Licht nach aussen wirft und die Landschaft zum Teil der Installation macht. Den Begriff des Territoriums hinterfragte sie in ihrer Arbeit «Inside the Outset: Evoking a Space of Passage» (2021), bestehend aus einem Film und einem Open-Air-Kino mitten in der Pufferzone der Vereinten Nationen auf Zypern. Ziel war, einen Treffpunkt für die Mitglieder aller Gemeinschaften auf der Insel zu schaffen. Der Film zeigt unter anderem Luftaufnahmen der Insel und folgt Barbas künstlerischem Ansatz, Grenzzustände zu untersuchen, um eine neue Perspektive zu eröffnen.

Lara Almarcegui, Restauration der Markthalle von Gros wenige Tage vor dem Abbruch, 1995, San Sebastián 

Mehr auf ökonomische und ökologische Fragestellungen ausgerichtet, setzt sich die in Rotterdam wohnhafte spanische Konzeptkünstlerin Lara Almarcegui (*1972, Rotterdam) mit Landschaft und Städtebau auseinander. «Terrains vagues» und Brachen stehen im Fokus ihres Schaffens und dienen ihr als Orte der Kritik gegen das Übermass an urbaner Planung. Dies veranschaulichte sie mit einer ihrer ersten Arbeiten: 1995 wurde sie in San Sebastián eingeladen, eine Ausstellung in einer zum Abbruch bestimmten Markthalle einzurichten. Um auf die Zerstörung eines so wichtigen Ortes für die Gemeinschaft aufmerksam zu machen, restaurierte die Künstlerin den Bau während der Ausstellungsdauer als Protestakt eigenhändig. Ihr weiteres Interesse am Ungeformten und dem Untergrund widerspiegeln verschiedene Installationen, bei denen sie Baumaterialanalysen betrieb: In ihrem Beitrag für den spanischen Pavillon an der Biennale von Venedig des Jahres 2013 ermittelte sie dessen Bestandteile wie Beton oder Eisen, um diese wiederum aus dem Bauschutt von lokalen Unternehmen zu leihen und in gigantischen Haufen im Pavillon zu arrangieren.

Der prominenteste unter den geladenen Künstler*innen, der in Berlin lebende Julius von Bismarck (*1983), erläuterte seine Praxis zusammen mit der amerikanischen Naturphilosophin Dehlia Hannah. In seinem Schaffen verdeutlicht sich die Auseinandersetzung mit einem konstruierten Naturbegriff am plakativsten. Er begann seine Präsentation mit «Landscape Painting» (2015–2019), einer fotografischen und filmischen Serie, die seine malerischen Eingriffe in verschiedene Naturräume wie einem mexikanischen Dschungel dokumentiert. Mit jeder Aktion setzte sich von Bismarck mit der Tradition der Landschaftsmalerei auseinander, indem er die Landschaft mithilfe von Einheimischen buchstäblich mit Farbe überzog und deren Komplexität durch (Farb)Reduktion vereinfachte. Einen weiteren Fokus legte der Künstler auf seine Arbeit «I Am Afraid I Must Ask You to Leave» (2018), im Zuge derer er sich zusammen mit dem Künstler Julian Charrière (*1987) auf ikonische Naturmonumente konzentrierte. In einem inszenierten terroristischen Akt sprengten sie unter anderem eine bogenförmige Felsformation in die Luft. Die rötlich-braunen Gesteinsschichten als auch die umgebende Landschaft liessen vermuten, dass das Video im Arches-Nationalpark im US-Bundesstaat Utah gedreht wurde. Tatsächlich fand die Explosion jedoch in Mexiko statt, wo die Künstler Kopien im Massstab 1:1 bauen liessen. Nach der Veröffentlichung der Videos ohne eindeutige Quelle wurde das Ereignis sogar im US-Fernsehen ausgestrahlt.

Michael Beutler, «Råby Planet», Råby, 2018, Public Art Agency Sweden (Foto: Ricard Estay)

Nach so viel Naturgewalt lieferte die in Zürich wohnhafte Künstlerin, Performerin und Choreografin Alexandra Bachzetsis (*1974, Zürich) eine etwas andere Interpretation der Dialogfähigkeit von Architektur und Kunst: Im Anschluss an ihre Performance, in der sie mit einem weiteren Akteur das erotische Potenzial des zwischenmenschlichen Raums und des Umraums ausreizte, verwies Bachzetsis unter anderem auf die verschiedenen Spielarten des körperlichen Zugangs zur Architektur. Dafür nahm sie beispielsweise Bezug auf Beatriz Colominas «Sexuality and Space» oder Donna Haraways «Cyborg Manifesto» – womit das Nicht-binäre durch den Verweis auf Haraways Absage an die starren Grenzen zwischen «Mensch», «Tier» oder «Maschine» auch in diesem letzten Beitrag mitschwang. 

Es bleibt nun mit Spannung zu erwarten, welches Profil die Professur für Architektur und Kunst in Zukunft prägen wird. Die definitive Entscheidung ist für Mai oder Juni dieses Jahres zu erwarten. Denn erst dann dürfte das Berufungsverfahren mit der offiziellen Annahme des Ernennungsantrags durch den ETH-Rat beendet sein.

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