Ästhetisch essen oder Tee trinken

Jenny Keller
6. Oktober 2014
Der «ess.tee.tisch» auf 42 cm Höhe. Entwurf Jürg Bally 1951. Neuedition: Daniel Hunziker 2014 © Horgenglarus

Kenner outen sich mit einem Blick unter den Tisch. Auch Architekten haben diese Angewohnheit. Es beginnt ungefähr im zweiten Semester und setzt sich dann im zweiten Jahr richtig durch. Dann, wenn auch die Konstruktion einen wichtigen Teil im Studium einnimmt. Mit dem Blick unter den Tisch will man der Umwelt zeigen, dass man interessiert ist an der Konstruktion eines Tisches, nicht nur an seiner blossen Erscheinung.

«S.T.-Tisch», Entwurf Jürg Bally, 1951. Bild : Museum für Gestaltung Zürich, Designsammlung © Ica Bally

Beim jüngsten Tisch aus dem Hause Horgenglarus schaut nun ein Hebel unter dem Tisch hervor. Denn der «ess.tee-Tisch», eine Neuedition von Daniel Hunziker (einem Ingenieur und Designer) nach dem Entwurf von Jürg Bally von 1951, der ab sofort im Angebot bei Horgenglarus ist, verfügt über eine Konstruktion, die erlaubt, die Tischplatte in er Höhe zu verstellen – aus einem Ess- einen Teetisch zu machen und umgekehrt. Horgenglarus stellt den «ess.tee.tisch» in zwei Versionen her: In Schwarznuss natur und in Esche schwarz gebeizt, wobei letztere besser zum Tisch passt, der von Bally als einfaches Möbelstück entworfen worden ist; Das Nussbaumholz wirkt etwas gar zu edel. Die Tischplatte wird in einem Durchmesser von 95 cm, einer Kante aus Massivholz und einer Beschichtung mit hochwertigem Linoleum von Forbo angeboten, der in 20 Farbvarianten zur Auswahl steht. Die Aufzugsmechanik wird aus Chromnickelstahl gefertigt und die zentrale Fussverbindung ist aus anthrazitfarbenem Gusseisen. Der Blick unter den Tisch lohnt sich also.

Daniel Hunziker erklärt den Mechanismus des Tisches. Bild: Horgenglarus

Der «S.T.Tisch» wurde ab Mitte der Fünfzigerjahre bis etwa 1995 in verschiedenen Ausführungen seriell hergestellt und auch Aufzugstisch oder in einer Version mit Metallbeinen Verstelltisch genannt.

In der Bezeichnung «S.T.-Tisch» kommt Ballys Sprachwitz zum Vorschein, von der seine Witwe Ica Bally anlässlich der Präsentation der Neuedition letzte Woche bei Teo Jakob in Zürich, berichtet hat: Als Schriftbild passt das Kürzel «S.T.» eher zu einem technischen Produkt, was der Tisch mit der unter der Tischplatte verborgenen Verstellmechanik letztlich auch ist. Ein raffinierter Mechanismus ermöglicht es, die Höhe des Tisches mit einem Handgriff zwischen 72 und 40 cm einzustellen. Auf diese Weise verwandelt er sich, wie es in der Aussprache von «S.T.» anklingt, vom Ess- zum Teetisch. Ein wesentliches Argument für die herausragende Designqualität des Tisches liegt darin, dass diese Multifunktionalität nicht auf Kosten ausgeglichener Proportionen geht, und er in jeder Position so aussieht, wie es das phonetische Lautbild von «Ess-Tee-Tisch» implizit suggeriert: ästhetisch. jk

Der «ess.tee.tisch» auf 74 cm Höhe. Entwurf Jürg Bally 1951. Neuedition: Daniel Hunziker 2014 © Horgenglarus

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