Die Hässlichkeit für Laien

Manuel Pestalozzi
27. August 2018
Grosse geschlossene Flächen, verschattete Öffnungen – Ansicht der Nordfassade des Hochhauses beim Triemli. Bild: Google Maps

Für Tagesmedien lassen sich mit Umfragen Sommerlöcher stopfen. Mehr als ein Organ wollte in den letzten Wochen wissen, welches in einem bestimmten Rayon das schönste resp. das hässlichste Bauwerk ist. Das Gratisblatt 20 Minuten tat das für die Stadt Zürich. Spitzenreiter auf der Negativseite wurde das unübersehbare Wohnhochhaus bei der Tramschlaufe im Triemli. Wie ein strenger Wachsoldat steht hier, an der vielbefahrenden Pendlerstrecke und am Übergang von der Stadt zur Agglomeration, das graue, reichlich fleckige Waschbeton-Hochhaus, das viele 20 Minuten-Leserinnen und -Leser offenbar rekordverdächtig hässlich finden.
 
Der Zeitung ist zugute zu halten, dass sie das Haus besuchte, bei einer zufriedenen Bewohnerin zu Gast war, darüber mit Film und Fotos sachlich-neutral berichtete und nicht durch Spott noch weiteres Salz in die Wunde rieb. Leider blieb die Erforschung der Gründe, weshalb die Leute das Gebäude so abstossend finden, etwas auf der Strecke. Dafür erhielt sein Architekt, Rudolf Guyer, Gelegenheit, sich zum Urteil zu äussern. Wie er dies tat, ist bemerkenswert: «Dass Laien das Gebäude hässlich finden, ist mir egal. Hauptsache, den anderen Architekten gefällt es», wird der in Fachkreisen geschätzte 89-jährige Altmeister zitiert. Wie das wohl ankommt?
 
Selbstverständlich gilt die Meinungs- und Ausdrucksfreiheit auch für Architektinnen und Architekten. Grundsätzlich haben sie nicht die Pflicht, ihre Werke Laien schmackhaft zu machen (solange sie nicht als Bauherrschaft am Drücker sitzen). Problematisch wird es aber, wenn Fachverbände an die Öffentlichkeit treten, weil sie eine Lanze für die Architektur als Kulturgut brechen möchten und an Fördertöpfe gelangen wollen. Diese werden auch durch die Steuergelder ignoranter Laien gefüllt. Eigentlich setzt das einen entspannteren Ton beim Umgang mit kritischen Voten und ein Gruindinteresse an Kritik voraus – auch dann, wenn diese wenig inhaltliche Substanz hat.
 
Am 21. September 2018 wird in der Shedhalle in Zug «archijeunes.ch» stattfinden, eine nationale Konferenz über Baukulturvermittlung an Kinder und Jugendliche. Vielleicht ist damit zu rechnen, dass die Kinder, denen diese Vermittlungsbemühungen zuteil werden, den Waschbetonbau beim Triemli toll finden. Zu hoffen ist, dass sie auch dazu ermächtigt werden, selbstbewusst und mit guten Argumenten, Architektur zu kritisieren – selbst dann, wenn sie von den zertifizierten Fachkräften gelobt wird und das Risiko besteht, dass jene, die das Lob nicht nachvollziehen können, im Basket of Deplorables landen.

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