Dissonanzen in Paris

Jenny Keller
22. Januar 2015
Bild: Julien Mignot (Pressebild)

Fünf grosse Symphonieorchester hat Paris und – nun endlich einen passenden Konzertsaal dazu. Während seiner Eröffnung waren die Bauarbeiten jedoch noch immer im Gang, und statt veranschlagten 180 kostete die Philharmonie 380 Millionen Euro. Kein Architekt gewinnt einen Wettbewerb, wenn er die Kosten realistisch angibt, soll Nouvel dazu gesagt haben. Er boykottierte ausserdem die Eröffnung «seiner» Philharmonie in Paris am 14. Januar. Er will aber richtigstellen, dass er kein verwöhnter Star-Architekt, sondern das Gebäude zurzeit noch nicht fertig ist.

Die Philharmonie am Rande des «Parc de la Villette» (Bernhard Tschumi 1980) im Nordosten von Paris hätte bereits vor zwei Jahren eröffnet werden sollen. Dennoch sei die «Grande Salle», der grosse Konzertsaal, noch nicht fertig und benötige Anpassungen, damit seine Akustik richtig zu Tragen komme, schreibt Jean Nouvel in seinem Editorial (!) in der Zeitung Le Monde am Tag der Eröffnung. Zuerst müssten Orchester den Saal bespielen, damit seine Akustik getestet und gegebenenfalls angepasst werden könne. Der Plan sei gewesen, im Frühling 2015 grosse Orchester mit Weltruf in das Haus zu holen, die einige günstige Konzerte geben. Die richtige Saison hätte dann erst im September mit dem «Orchestre de Paris» beginnen sollen. Nun hat man Mitte Januar regulär eröffnet, ohne Bespielung im Vorfeld, was viel zu früh gewesen sei.

Er sei nun der Sündenbock und werde als verwöhnter Star-Architekt hingestellt, der nicht einmal an die Eröffnung der Philharmonie vor einer Woche gekommen sei, reklamiert Nouvel in Le Monde.

Bild: Julien Mignot (Pressebild)

Trotz einer Kapazität von 2400 Plätzen sei das räumliche und akustische Gefühl im grossen Konzertsaal geradezu intim, erklärte Nouvel seinen Entwurfsgedanken. Dies, weil die grösste Distanz zwischen Dirigent und Zuschauer nur 32 Meter betrage. So fühle sich der Zuschauer als Teil der Musik. Der Saal ist ausserdem organisch geformt, und die Wärme des Holzes, mit dem er verkleidet ist, unterstütze dieses Raumgefühl. Der Saal ist aber veränderbar, man kann im Parkett stehen, oder die Bühne nach hinten verlegen.

«Eine politische und kulturelle Setzung»
Die neue Philharmonie soll eine offene, durchlässige Konzertstätte werden, die nicht das Durchschnittspublikum von klassischer Musik (privilegiert, überaltert, gebildet) allein anziehen, sondern sich für die ganze Bevölkerung öffnen soll. Kinderveranstaltungen, Ausstellungen (bald die David-Bowie-Ausstellung aus dem Victoria & Albert Museum London) und natürlich Konzerte werden veranstaltet. Klassische Konzerte sollen aber nur die Hälfte aller Musikdarbietungen sein. SRF2 diskutierte über das neue Gebäude von Jean Nouvel unter anderem mit dem Architekturkritiker und Chef des Schweizer Architekturmuseums Hubertus Adam, der das Haus «eine politische und kulturelle Setzung» nennt in einer Sendung, die etwas sehr legato daherkommt:

Reflexe auf SRF2: http://www.srf.ch/sendungen/reflexe/glitzern-am-stadtrand-die-philharmonie-de-paris

Eminent plastisch?
Zu Beginn gar nicht lesenswert war die Besprechung des Konzerthauses im Feuilleton der NZZ vom 16. Januar mit Sätzen wie «Gleich einem mentalen Raum in Samttönen versetzt er den Geist des Konzertgängers in einen wohligen Schwebezustand und erzeugt so eine mehr lockere als verkrampfte Aufmerksamkeit». Der Saal sehe «eminent plastisch» aus, und wer sich darunter auch nichts vorstellen kann, dem raten wir, weiter nach unten zu scrollen, wo der Autor immerhin interessante politische und gesellschaftliche Zusammenhänge aufzeigt. So sei Jean Nouvels Philharmonie das wohl letzte «grand projet» (François Mitterrands architektonisches Programm, das moderne Monumente für die Stadt Paris vorsah), denn die Staatskassen von Frankreich seien nun leer.

Feuilleton der NZZ: http://www.nzz.ch/feuilleton/musik/jean-nouvels-vogel-fels-1.18461951

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