Kontraste im Städtebau

Manuel Pestalozzi
12. September 2018
Bühne frei für den Städtebau. Auf dem Podium diskutierten abschliessend (v. l. n. r. Petra Meng, Murat Tabanlıoğlu, Axel Simon, Prof. Christoph Mäckler und Balz Halter.

Das Publikum erwartete im Vortragssaal des Kunsthauses keine kalte Dusche – doch am Schluss erhielten alle als Abschiedsgeschenk einen Brausekopf des kompetenten Wasserdosierers und -aufbereiters Grohe. Die vier Referate zum Thema «sozial gerechte, dichte und mobilitätsstaugliche Ballungsräume – eine Herausforderung für die Architektur!» wie auch die anschliessende Schlussdiskussion mit Hochparterre-Redaktor Axel Simon repräsentierten Strömungen, die den meisten Anwesenden wohl schon vertraut waren. Interessant war, dass sich die Breite der diversen Ansätze zeigte, welche die europäische Stadt zukunftstauglich machen möchten. Es war auch deutlich zu erkennen, dass der Blick auf die Stadtentwicklung stark davon abhängt, aus welcher Perspektive er vorgenommen wird.
 
Entwickler will Freiheit
Balz Halter von der Halter AG präsentierte die Perspektive des privatwirtschaftlichen Areal-Entwicklers. Die Tätigkeit seines Familienunternehmens beschränkt sich weitgehend auf die angestammte Umgebung. Entsprechend gut sind die Kenntnisse der Landschaft, die sich wandeln soll und auch der Befindlichkeit der Menschen, die bereits dort leben. Balz Halter setzt sich ein für eine polyzentrale Stadt. Bei den städtebaulichen Konzepten folgt er gerne dem Ansatz, dass die traditionelle europäische Stadt gute Lösungsansätze bereithält – auch an den Rändern, denen sein besonderes Interesse gilt. Seine Best of Practice-Beispiele, die er in seinem Referat erläuterte, befanden sich im Limmattal. Hier engagiert sich Balz Halter seit Jahren für eine Limmattal-Stadt, welche politische Grenzen auflöst und «dörfliche» Widerstände bricht.

Das Wiener Modell
Architektin Petra Meng ist Mitinhaberin von illiz architektur mit Büros in Zürich und Wien. Wie Balz Halter fokussierte sie auf Wachstumspotenziale an der Peripherie, in diesem Fall aber innerhalb der politischen Grenzen der Donaumetropole, die bekanntlich gemäss Mercer Studie den weltweit höchsten Lebensstandard bietet. Die Entwicklung erfolgt nach dem «Wiener Modell». Das heisst, sie wird eng betreut und von zahlreichen Auflagen und Vorgaben begleitet. In dem von Petra Meng vorgestellten Projekt Carrée Atzgersdorf sind die Bauträger wohl nicht ganz zufällig Genossenschaften. Das Entwicklungsteam wurde von einem Soziologen begleitet. Wichtiges «Steuerungsinstrument» waren auch die Höhe resp. Tiefe der Mieten, welche die Architektur mit beeinflusste. Der Städtebau beinhaltet im Carrée Atzgersdorf auch eine Nachbetreuung des Quartiers respektive deren Bewohnerinnen und Bewohner.
 
Back to the Future
Der renommierte deutsche Architekt und Professor für Städtebau Christoph Mäckler präsentierte Resultate einer Forschungsarbeit, bei der es um die Neuentdeckung der Qualitäten der historischen Stadt geht. Im Zentrum stand dabei der Gegensatz zwischen öffentlichen und privaten Aussenräumen. Dieser bedingt eine Architektur mit Vorder- und Rückseiten, und dafür gibt es seit dem Mittelalter Rezepte, die bis heute Gültigkeit haben. Der städtische Block und die rue corridor sieht Professor Mäckler als Ordnungsinstrumente für eine lebenswerte und auch in sozialer Hinsicht funktionierende Stadt. Dafür hat er mit seinem Forschungsteam Gebäudetypen entwickelt, wie etwa das im Grundriss T-förmige Flügelhaus, ein Fünfspänner, der sich zu einer Hofbebauung zusammensetzen lässt.
 
Wege zum Wasser
In den Ausführungen von Murat Tabanlıoğlu, der in Istanbul, London und New York Büros betreibt, spielte der Bezug der Stadt zum Wasser eine prägende Rolle. Einleitend stellte der Architekt aus der Türkei einen Ausstellungsbeitrag vor, welche die Eigenschaften der Hafenstädte Istanbul und Antwerpen miteinander vergleicht. Der Umgang mit Bereichen am Ufer war auch Gegenstand seiner Projektpräsentationen. Wie in vielen anderen Hafenstädten gibt es in Istanbul dort Areale, die bisher nicht zugänglich waren und nun einer neuen Nutzung zugeführt werden. So bietet sich die Chance, landseits angrenzenden Quartieren den Weg zum Wasser zu öffnen und gleichzeitig die Erinnerung an Vergangenes zu kultivieren.
 
Braucht es Ikonen in der Stadt?
In die kurze abschliessende Diskussion brachte Moderator Axel Simon die Frage nach der städtebaulichen Ikone ein. Ihm gefällt es in Zürich so gut, weil es hier davon eben keine gebe – um wenige Atemzüge weiter die weltweite Strahlkraft neuer Überbauungen in Zürich, wie die Kalkbreite oder das Hunziker-Area, hervorzuheben. Diese bezeichnete Balz Halter prompt als Ikonen. Sein Unternehmen habe in der Stadt Zürich keine Chance, ein Areal nach marktwirtschaftlichen Kriterien zu entwickeln, meinte er und warf ein Schlaglicht auf die politischen Umstände, welche für die Stadtentwicklung abseits aller typologischer Überlegungen von massgebender Bedeutung sind.

Die Mobilität geriet an dieser Veranstaltung etwas in Vergessenheit – obwohl auch sie für die städtebauliche Entwicklung von eminenter Wichtigkeit ist. Immerhin erhielt Balz Halter die Gelegenheit, zum Nein gegen die am 23. September zur Abstimmung stehende Initiative «Stoppt die Limmattalbahn» aufzurufen.
 

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