Kraft und Kühnheit

Ulf Meyer
10. Mai 2023
Die bestehende Aarebrücke wies Baumängel auf, sodass sie erneuert werden musste. Die Gründungen der Flusspfeiler konnten jedoch übernommen werden. (Visualisierung: © Christ & Gantenbein)

Als bekannt wurde, dass die im Jahr 1949 erbaute Aarebrücke in Aarau schwere Baumängel aufweist, veranstaltete der Kanton Aargau 2009 einen Projektwettbewerb, um das Bauwerk grossteils zu ersetzen. Den statischen Schwachpunkt bildeten die Gerbergelenke und die Fahrbahnübergänge im Brückenmittelfeld. Weil die Gründungen der beiden Flusspfeiler indes noch in einem guten Zustand waren, sollten nur der Brückenoberbau und die Widerlager ersetzt werden. 

Christ & Gantenbein konnten mit ihrem Entwurf den Wettbewerb gewinnen. Zum Team gehörten auch die Bauingenieure von Henauer Gugler und Walther Mory Maier sowie der Landschaftsarchitekt August Künzel. Inzwischen ist die neue Brücke nahezu vollendet, und im Juni dieses Jahres wird die feierliche Einweihung stattfinden. Nun also lässt sich überprüfen, ob die hohen Erwartungen, die nicht nur die Jury in den Entwurf setzte, erfüllt wurden. Erinnern wir uns: Besonders gelobt wurde im Wettbewerb, wie sich der Entwurf in das Stadtbild integriert und gleichermassen Bezug auf den Zollrain, die Altstadt und das Flussufer nimmt. Und um es gleich vorwegzunehmen: Diese Qualitäten zeigen sich jetzt tatsächlich. Insbesondere die Verknüpfung mit dem Zollrein und der Altstadt scheint gelungen.

Blick über die neue Brücke auf Aarau (Visualisierung: © Christ & Gantenbein)
Die monolithische Tragkonstruktion der Brücke aus Beton (Visualisierung: © Christ & Gantenbein)

Die Bogen über den Fluss sind monolithisch verbunden und hohl. Sie bestehen aus einer Druckplatte, vier Längswänden und der im Scheitel mit den Bogen verschmelzenden Fahrbahnplatte. Christ & Gantenbein hatten den Auftrag erhalten, weil sie konstruktive Erfordernisse und architektonische Gestaltung geschickt miteinander verbanden – mit «schlüssigem Konzept für Tragwerk und Gestaltung», wie die Jury damals urteilte. Das gelungene Zusammenspiel von Ingenieuren und Architekten wurde von ihr für besonders wichtig erachtet. Die Bauherrschaft war bereit, für das Projekt «Baukosten über dem Minimum» zu akzeptieren. 

Beim Brückenkopf Süd sollte die Einfahrt auf die neue Brücke für den Schwerverkehr ausgelegt werden. Dazu wurde die Fahrbahn aufgeweitet. Der Grünraum zwischen den Rampen, die auf die Brücke führen, und dem Uferweg wurde neu gestaltet. An beiden Brückenköpfen sind komfortable Verbindungen entstanden, die auch Rollstuhlfahrer*innen gut nutzen können. 

Blick auf die fertiggestellte Brückenkonstruktion (Foto: © Kanton Aargau Abteilung Tiefbau, Roberto Scappaticci)

Der Entwurf verbindet Brücke, Brückenpfeiler, Brückenköpfe und Ufer zu einem Ganzen. Die Jury schrieb in ihrem Bericht, die neue Brücke verspreche jene Mischung von Schwere und Kühnheit, die Brücken aus der Zeit um 1900 eigen sei. – Und dies trifft angesichts des fertigen Bauwerks durchaus zu. Konstruktion und Materialität werden nicht verleugnet. In besonderem Masse weisen die Durchbrüche unter den Bogen auf die Verwendung von Beton hin. Die mehrfeldrige Bogenbrücke mit Stützmauern präsentiert sich nicht als zwischen die Ufer gespanntes objekthaftes Tragwerk, sondern betont die Kontinuität zwischen Ufermauern und Brückenkörper. 

Rampen führen auf die neue Brücke. (Foto: © Kanton Aargau Abteilung Tiefbau, Roberto Scappaticci)

Betrachtet man das Bauwerk von den Uferwegen aus, könnte es durchaus zu einem neuen Wahrzeichen der Kantonshauptstadt avancieren. Bei all dem Lob gibt es allerdings auch einen Wermutstropfen: Auf der Brücke selbst ist die Aufenthaltsqualität für Fussgänger*innen und Radfahrende gering. Abgesehen von einem Handlauf aus Beton ist strassenseitig von der Eleganz der neuen Brückenkonstruktion wenig zu spüren. Zwar wurde dem Beton Jurakalk zugeschlagen, doch die Beleuchtung beispielsweise wirkt wie nachträglich hinzugefügt. Entlang der Uferwege und unter der Brücke ist das anders: Dort zeigt sich die Eleganz der Konstruktion, und es überrascht, wie leicht eine schwere Betonbrücke wirken kann. 

Foto: © Kanton Aargau Abteilung Tiefbau, Roberto Scappaticci

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