Werner Bischof – der Farbe auf der Spur

Nadia Bendinelli
12. September 2023
Werner Bischof, «Orchideen Studie», Zürich, 1943, fotografiert mit der Devin Tri-Color (© Werner Bischof Estate / Magnum Photos)

An schönen Fotografien sieht man sich nie satt – aber braucht es nun wirklich eine neue Bischof-Ausstellung? Schliesslich wurden die Bilder des berühmten Fotografen in der Vergangenheit bereits mehr als häufig gezeigt. Die Antwort fällt leicht: Oh ja! Denn nur wenige seiner Farbfotografien sind bekannt, die meisten dürften für die grosse Mehrheit eine Neuentdeckung sein. Weit davon entfernt, bereits hinlänglich Bekanntes aufzuwärmen, vermag die Ausstellung «Werner Bischof – Unseen Colour» eine neue Perspektive auf das Werk des Schweizers zu vermitteln. 

Denken wir einen Moment an die Zeit zwischen den 1930er- und den 1950er-Jahren zurück: Die Farbfotografie war dazumal bei den Dokumentar- und Reportagefotografen aus idealistischen Gründen verpönt. Einige Künstler der 1930er-Jahre waren der Meinung, das Medium habe formalistische Aufgaben zu lösen – die Farbe sei dabei irrelevant. Zudem waren Farbabzüge auch schlicht teuer und aufwendig, sie erforderten grosses Geschick. Trotzdem gab es einige Fotografen, die sich mit der neuen Technik auseinandersetzten und ihr Potenzial über die Werbebranche und die Vermarktung von Luxusgütern hinaus zu sehen vermochten. Auch Werner Bischof liess sich nicht abschrecken und erforschte eingehend die Möglichkeiten der Farbfotografie.

Die Ausstellung der Fotostiftung Schweiz ist in drei Hauptsegmente gegliedert, die jeweils einer bestimmten Kamera zugeordnet sind. Den Auftakt machen Bilder, die mit der Devin Tri-Color aufgenommen wurden, einem eher unhandlichen Apparat, der dank eines Spiegel-Systems drei 6,5 auf 9 Zentimeter grosse Glasplatten gleichzeitig belichten konnte, die mit einem roten, blauen und grünen Filter versehen waren. Aus den Negativen wurden Positive erzeugt, die übereinander gedruckt ein Farbbild ergaben. Die charakteristischen Farbränder, die bei den Reproduktionen für die Ausstellung bewusst erhalten wurden, illustrieren das Übereinanderlegen der Platten – so wird die aufwendige Prozedur für den Betrachter greifbar. Heute erfolgt die Reproduktion allerdings durch das Scannen der Negative und die digitale Bearbeitung – doch das Prinzip bleibt dabei dasselbe.

Werner Bischof, «Trümmerfrauen», Berlin, 1946, fotografiert mit der Devin Tri-Color (© Werner Bischof Estate / Magnum Photos)

Die ersten Gehversuche mit der Devin unternahm Bischof noch in seiner Dunkelkammer. Bald aber war er mit der Kamera unterwegs und fotografierte Menschen und Ereignisse. In der Ausstellung ist auch seine wahrscheinlich bekannteste Farbfotografie zu sehen: Sie wurde mit der Devin Tri-Color aufgenommen und diente 1946 als Titelbild für die Mai-Ausgabe der Zeitschrift Du. Das Foto sorgte für grosses Entsetzen; nach der Veröffentlichung wurde die Redaktion förmlich mit kritischen Leserbriefen überschüttet. Die Nahaufnahme zeigt einen niederländischen Jungen kurz nach Kriegsende: Das Kind wurde Opfer einer Mine. Sein Gesicht, von rosa Narben durchzogen, von dunklen Flecken bedeckt und mit einem Glasauge, wirkt gerade durch den Einsatz der Farbe viel dramatischer und vor allem unvermittelt nah. Die Idee dahinten war, ein Symbolbild zu schaffen, das imstande sein sollte, die schrecklichen Auswirkungen des Krieges zu vermitteln. 

Der nächste Ausstellungsabschnitt ist der Rolleiflex gewidmet. Dank der unkonventionellen Anwendung – man hält die Kamera irgendwo zwischen Bauch- und Brusthöhe und schaut von oben durch den Sucher – gewährte sie Diskretion und die Möglichkeit, näher an das Sujet zu rücken, ohne es zu bedrängen. Diese Mittelformat-Spiegelreflexkamera belichtete quadratische Bilder auf Schwarz-Weiss- oder Farbfilm. Werner Bischof ist bekannt für seine meisterhafte Bildkomposition in diesem Format. Bei seinen Bildern mit der Rolleiflex gibt es daneben aber noch eine andere Entdeckung zu machen: Farbe an sich beginnt interessant zu werden. Es fällt auf, wie sie nun eingesetzt wird, in einer bewussten und subtilen Art.

Dieses gezielte Gestalten mit Farbe wird im nächsten Raum noch deutlicher und eindrücklicher. Die kleine, kompakte Leica – per se Symbol der Bewegungsfreiheit und somit für «unendliche» Möglichkeiten – war geradezu prädestiniert, um ein neues Kapitel in Bischofs Arbeit aufzuschlagen. Mit einer langen Reise, die in den USA begann und weiter nach Südamerika führte, begab er sich auf die Suche nach neuen Möglichkeiten, um seine künstlerischen Absichten zu entfalten. Bischofs ursprünglicher Wunsch war es gewesen, Maler zu werden. Dies hat ihn stets veranlasst, die Welt in Farbe zu betrachten, sie durch diese Linse zu studieren und sie schlussendlich auch so wiederzugeben und zu interpretieren. Zwar hörte er nie auf, in Schwarz-Weiss zu fotografieren, doch anhand der nun in Winterthur ausgestellten Bilder wird deutlich, wie wichtig die Farbfotografie für ihn war und wie vertieft er sich mit der neuen Technik befasste. Im letzten Abschnitt der Schau steht man schliesslich vor einigen Abzügen, die ohne Farbe wohl wenig Sinn ergeben würden: Die Farbe ist hier nicht einfach da, weil die Welt bunt ist, vielmehr wird sie gekonnt eingesetzt und entwickelt sich zum tragenden Element der Fotografie.

Nach dem Besuch der sehenswerten Ausstellung hat man ein vollständigeres Bild des berühmten Fotografen gewonnen. Dass Bischof vielen Zeitgenossen ein grosses Interesse an der Farbfotografie voraushatte und bereits in den 1950er-Jahren Farbe als Gestaltungselement nutzte, stimmt auch nachdenklich: Wohin hätte sich seine Farbfotografie noch entwickelt, wäre er nicht so früh verunglückt?

«Werner Bischof – Unseen Colour» ist in der Fotostiftung Schweiz (Grüzenstrasse 45, 8400 Winterthur) bis zum 28. Januar 2024 zu sehen. 

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