Gutmütiger Wandaufbau

Thomas Geuder
10. September 2014
Erklärtes Ziel der Sanierung war, ein energieeffizientes Baudenkmal mit hohem Klimakomfort zu erstellen und es als Zeitdokument zu erhalten bzw. wiederherzustellen. Bild: avp Architekten

Ein bestehendes Gebäude abzureissen ist nicht immer der bessere Weg. Denn in bestehenden Bauten steckt nicht nur eine gehörige Portion graue Energie, sondern auch – und das ist für viele das entscheidendere Argument – die Identität des Ortes sowie Geschichte. Solche Bauten scheinen ein Fenster zu einer längst vergangenen Zeit zu öffnen, in der die Welt noch eine andere war. Vielleicht ohne Auto, ohne Lärm und ohne Umweltverschmutzung. Kaum noch vorstellbar ist das heute, und umso verklärter ist vielleicht auch mancher Blick auf diese Zeit. Zumindest was die bauliche Situation angeht, sind wir heute jedenfalls ein gutes Stück besser dran. Wir haben es nicht nur warm in Gebäuden, sondern können im Innenraum auch eine Wohngesundheit herstellen, von der Generationen vor uns nur zu träumen wagten. Im Umkehrschluss bedeutet das aber auch, dass alte Bestandsgebäude, die erhalten und trotzdem bewohnt werden sollen, energetisch auf ein völlig anderes Niveau gehoben werden müssen. Ist ein Gebäude dann auch noch denkmalgeschützt, sind oftmals besondere Ideen notwendig.

Notwendige Änderungen und Ergänzungen am Haus wollten die Planer zeitgemäss, ablesbar aber unaufdringlich einbinden. Bild: avp Architekten

Um eine Innendämmung kommt der Planer bei einer solchen Sanierungsmassnahme dann meist nicht herum. Vorbehalte gegen die innenseitige Dämmung allerdings braucht man heute schon lange nicht mehr zu haben, schliesslich ist das Angebot an Dämmstoffen, die der Wohngesundheit zuträglich sind, mittlerweile beachtenswert. Als Beispiel: Die Dämmplatte Pavadentro des Allgäuer Herstellers Pavatex. Ihr Rohstoff bilden die Scharten, Spreisseln und Hackschnitzeln heimischer Sägereien, die als Reststoff anfallen. Diese werden ohne Leim in Form gespresst, wobei lediglich die holzeigenen Bindekräfte durch das Lignin wirken. Das Material nutzt die kapillare Leitfähigkeit sowie die hygroskopischen Eigenschaften von Holzfasern aktiv und sorgt für ein behagliches Raumklima. Zusätzlich sorgt eine mineralische Funktionsschicht für einen kontrollierten Feuchtetransport: An ihr wird der Wasserdampf abgebremst, was zu einer kontrollierten Akkumulierung der Feuchtemoleküle innerhalb des Materials führt. Die so gebildeten Wassermoleküle werden kapillar rückverteilt und schliesslich an den Raum zurückgegeben. So wird einer zerstörenden Kondensatbildung im Dämmstoff vorgebeugt. Das Ganze kann dann mit einem Lehmputz versehen werden, der bekanntlich ebenfalls seinen Beitrag zum guten Raumlima leistet.

Der Bemessungswert der Wärmeleitfähigkeit λ nach EN 13171 beträgt bei Pavadentro 0,045 W/(mK), das Brandverhalten nach EN 13501-1 wird in die Klasse E normalentflammbar eingestuft. Bild: avp Architekten

Der Gasthof «Zu den Linden» in Gutengermendorf, einem Ortsteil der Gemeinde Löwenberger Land etwa 60 km nördlich von Berlin, wurde ca. 1840 erbaut, um 1900 um einen Saalbau erweitert. Genutzt wurde es als Gasthaus mit Wohnteil, zeitweise als Poststation und als Dorfladen. Seit Jahren stand das Gebäude leer und wäre – ungenutzt – dem Verfall preisgegeben gewesen. Ihm angenommen haben sich bereits im Jahr 2007 die Architekten Abelmann+Vielain aus Berlin, die das den Gebäudekomplex in zwei Bauabschnitten zum eigenen Wohnhaus umgebaut haben, hof- und gartenseitig für die Öffentlichkeit sogar nutz- und erlebbar. Unter Beachtung denkmalpflegerischer Grundsätze wurden die Gebäude weitgehend im ursprünglichen Zustand wiederhergestellt. So erhielten etwa die Räume aufgrund eines restauratorischen Gutachtens die typische Farbigkeit zurück, Dachränder und Fensterbänke wurden originalgetreu ohne Verblechung hergestellt und die Dachfächen bewusst nicht DIN-gerecht egalisiert. Der Stuck an der Strassenfassade sollte (natürlich) erhalten werden, so entschieden sich die Planer für eine Pavadentro-Innendämmung, die in diesem Fall noch ergänzt wurde: Eine Wandheizung in der ersten Schicht des Lehmputzes entschärft das bauphysikalische System zusätzlich, besonders kritische Stellen wie Fensterlaibungen und einbindende Bauteile (auf deren Teilbereichdämmung die Planer verzichtet haben) werden dadurch entschärft. So befindet sich jetzt auf der 46 cm starken, innen- und aussenseitig verputzten Bestands-Aussenmauer ein Ausgleichsputz (Unebenheiten), 60 mm Holzfaserinnendämmplatten im Klebebett, rund 35 mm Lehmputz in zwei Schichten (mit den Heizschleifen der Wandheizung) sowie ein Lehmfeinputz und eine Silikatfarbe in Lasurtechnik in 3 bis 5 Schichten.

Walter Vielain nennt das eine «gutmütige Konstruktion», die zu einem gesunden Raumklima und hoher Behaglichkeit führt. Ausserdem spart sie Energie, da die Wandheizung zu einer veränderten «Wärmewahrnehmung» führt: Man senkt automatisch die Raumtemperatur um zwei bis drei Grad. Ein gutes Konzept also, das auch der Jury des Wettbewerbs «Regionaltypisches Bauen-klimafreundlich» in der Kategorie «Denkmal» der 1. Preis wert war.

In einigen Räumen wird das ursprüngliche Farbkonzept erhalten, hier: hellblauer Wandfond mit einer kräftig blauen Strich-Band-Rahmung, dazu ein 39 cm hoher, dunkelbraun-lilafarbener Sockel. Bild: avp Architekten
Der erst rund 100 Jahre alte Kalkzementputz der Strassenfassade konnte gereinigt und restauriert werden, die neuen Fensterelemente mit guten Dämmwerten wurden nach historischem Vorbild gefertigt. Bild: avp Architekten
Die erste Lehmputzschicht wird direkt auf die Holzfaserdämmplatten mit den Heizschleifen der Wandheizung aufgebracht. Bild: avp Architekten
Um die Wirkung der Innendämmung nicht zu schwächen, wurden konsequent keine Leitungen, Steckdosen o. ä. in den Aussenwänden verlegt. Bild: avp Architekten
Wandaufbau auf der Bestandsmauer innen, hier ohne Wandheizung. Die mineralische Funktionsschicht besteht aus Silikaten, die im Steinbruch gewonnen werden. Bild: Pavatex
Die Wärmeversorgung erfolgt mit Erdwärme über vier Sonden im Hof und einer Wärmepumpe. Bild: avp Architekten
Der Buntschiefer im Badezimmer nimmt Bezug auf die Farbigkeit des Feldsteinsockels und auf das Thema Blau der Wände in den Wohnräumen. Bild: avp Architekten
Bestandsaufnahme: Das Gebäude aus dem Jahr 1840 wurde an zahlreichen Stellen immer wieder umgebaut. Bild: avp Architekten
Alle neu hinzugefügten Bauteile sprechen eine moderne, aber zurückhaltende Sprache und gehen in Materialität, Proportion und Farbigkeit auf die bauzeitlichen Elemente des Hauses ein. Bild: avp Architekten
Projekt
Alter Gasthof
Gutengermendorf, D

Architekt
Abelmann+Vielain
heute: Abelmann Vielain Pock avp Architekten
Berlin, D

Hersteller
Pavatex GmbH
Leutkirch, D

Kompetenz
Paradentro

Bauherr
Renate Abelmann und Walter Vielain

Fertigstellung
2012

Fotografie
avp Architekten
Pavatex GmbH

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