Neubau CSS Versicherung

6. Juni 2006

Neubau CSS Versicherung
2005

Tribschenstrasse 21
Luzern

Bauherrschaft
CSS Versicherung AG

Architektur
Andrea Roost
Bern

Martin Lüthi
Anita Stucki
Damian Lisik
Georges Dietisheim
Chantal Bornand

Generalunternehmen
Anliker
Emmenbrücke

Armin Gehrhardt
Martin Ulrich

Kunst
Jean Pfaff, Ventallò (E)

Anlagekosten
(BKP 1–9)
CHF 75 Mio.

Gebäudekosten
(BKP 2/m)
CHF 480.–

Mit seiner horizontal strukturierten Fassade hat der CSS-Neubau einen markanten Auftritt an der Tribschenstrasse.

Nicht auf die Mitte konzentriert, sondern in die Länge gezogen sind die Innenräume in zwei inzwischen zehnjährigen Bundesämtern, dem Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft, heute BAFU, und dem Bundesamt für Gesundheit (BAG). Spektakulär ist die in eine achtgeschossige Betonwand eingeschnittene Kaskadentreppe im BAG in Liebefeld bei Bern (HP 3/97). Lebt in der Sarna die Promenade von den ständig wechselnden Ausblicken, wenn man auf den Rampen in die Höhe gleitet, so beeindruckt im BAG der Kontrast zwischen dem eng begrenzten, nur auf einer Seite geöffneten Treppenraum – mit rotem ‹Teppich› an der Decke – und den filigranen Brückchen, auf denen man den hohen Raum durchquert. Roosts Rechnung ist aufgegangen, wie ein Augenschein vor Ort zeigt: Die meisten Bürotüren sind geöffnet; die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wollen den Betrieb auf den Korridoren, in der Halle und in der Cafeteria auch in ihren Büros spüren. Eine Kaskadentreppe durchmisst auch den Raum im BAFU in Ittigen, doch ist sie nicht eingeschnitten, sondern sie schmiegt sich an eine Wand in der offenen Halle.
Kleinere Geschwister dieser vielgeschossigen Innenräume baute Andrea Roost im Zoologischen Institut der Universität Bern (HP 9/01) und im Pharmazentrum der Universität Basel (HP 8/01). Dort hat er einen dreigeschossigen ‹Stadtraum› geschaffen, durch den vielfältige Wege vom Eingang zum Seminarraum, vom Hörsaal zur Cafeteria führen. Wie in Sarnen ist auch dieses Raumgefüge nicht auf einen Blick zu erfassen; es erschliesst sich erst durch die Bewegung. Die Betonskulptur im Berner Institutsgebäude ist im Grunde eine Fluchttreppe, die, von der Wand abgerückt und von oben belichtet, eine sakrale Stimmung erzeugt.

Was man nicht erwarten würde: Hinter der strengen Fassade verbirgt sich ein vielfältiger, spannender Innenraum.

Das jüngste Familienmitglied
Das jüngste Mitglied dieser lose miteinader verwandten Familie von Innenräumen baute Andrea Roost in Luzern. Hinter dem Bahnhof, wo sich einst der städtische Werkhof ausbreitete, ist in den letzten Jahren ein neuer Stadtteil, die Tribschenstadt, herangewachsen. In idealer Lage zum See, zum Stadtzentrum und zum Bahnhof erstellen fünf Bauherrschaften rund 600 Wohnungen. Die vorläufig letzte Etappe soll 2007 abgeschlossen sein. Andrea Roosts Neubau mit dem Hauptsitz der CSS-Versicherung und Wohnungen steht an der Ecke Tribschenstrasse-Werkhofstrasse. ‹Drei Höfe› hiess das Kennwort seines Wettbewerbsprojekts, drei Höfe hat der realisierte Bau.
An die stark befahrene Tribschenstrasse setzte der Architekt einen lang gezogenen, u-förmigen Baukörper mit den Büros für die Versicherung. Das horizontal strukturierte Bürohaus zähmt die unruhige Situation und schützt die Wohnungen vor dem Strassenlärm. Das Wohnhaus ist ein dunkelblau verputzter Riegel im rückwärtigen Teil des Grundstücks, der die Geometrie des anschliessenden Neubauquartiers aufnimmt. Zwischen den beiden Teilen gibt es zwei Höfe: den dreieckigen Anlieferungshof an der Werkhofstrasse und den unregelmässig begrenzten Gartenhof, der den Bewohnern als Aussenraum zur Verfügung steht.

Erst im obersten Geschoss ist der Blick quer durch den Raum möglich. An der einen Seite liegt die Cafeteria für die Mitarbeiter.

Von der Nachbarschaft setzt sich das Wohnhaus durch seine Farbe und vor allem durch seine zinnenartige Attika ab, mit der Roost das übliche, allseitig einspringende Attikageschoss vermeiden konnte. Dreissig Wohnungen, davon sechs Maisonetten, und fünf Ateliers fanden in diesem Haus Platz. Am Bürohaus an der Hauptstrasse unterstreichen markante, gegenüber der Fassade vorstehende Glasbänder die horizontale Gliederung. Die Gläser halten den Lärm von den dahinter liegenden Fenstern ab, Öffnungen an den Unterseiten lassen dennoch die Luft zirkulieren. Dank diesem baulichen Lärmschutz lassen sich die Fenster zur Strasse hin öffnen, ohne dass der Lärm die Arbeit in den Büros stark beeinträchtigt. Nachts tauchen Leuchtdioden die Fensterbänder in blaues Licht.
Das ‹Artischockenbödeli›, wie es Roost nennt, verbirgt sich auch beim CSS-Neubau im Innern des Bürohauses: der dritte der drei im Wettbewerbsprojekt versprochenen Höfe, der Kommunikationshof als über alle Geschosse reichendes Atrium. Im Grundriss ist es ein Rechteck, um das die Galerien vor den Büros angeordnet sind. An der einen Ecke stösst ein markanter, rot gestrichener Block in den Raum vor, an einer anderen Ecke fliesst der Innenhof in den Gartenhof. Schräg – in der Geometrie des Wohnhauses – ist eine Rampe in den Raum gestellt, die sich um eine Wandscheibe in die Höhe windet. Das Rampenbauwerk schneidet unterschiedliche Raumfragmente aus dem grossen Atrium, sodass dieses nicht mehr auf einen Blick zu erfassen ist. Erst wer auf der Rampe emporschreitet, erlebt den Raum aus immer neuen Perspektiven und vermag die Fragmente zu einem spannenden Ganzen zusammenzufügen. Die farbliche Gestaltung ausgewählter Bauelemente verstärkt die räumliche Wirkung und das von oben und von der Seite einfallende Licht verändert die Stimmung im Tagesverlauf. Andrea Roost führt uns die Essenz der Architektur vor: Raum.

Der u-förmige Bürobau orientiert sich auf die Tribschenstrasse, das Wohnhaus dockt ans Neubauquartier an.

Verwandtschaftliche Beziehungen
Lassen sich diese ‹Forschungsarbeiten› zum Thema ‹der Innenraum als Kommunikationsraum›, wie Roost sie nennt, in eine Reihe stellen? Gibt es eine logische Abfolge von Ciba-Geigy und Unitobler über Sarna, BAG, BAFU und die beiden Uni-Institute bis hin zum CSS-Neubau? Eine gerade Linie lässt sich nicht ziehen – zu unterschiedlich sind die Situationen und die Dimensionen. Doch auch die Zeitachse dient nicht zur Orientierung. Denn am direktesten ist der CSS-Neubau mit einem der frühen Werke verwandt, dem Sarna-Hauptsitz, einem kompakten Vorgänger des Luzerner Neubaus. Die Elemente sind dieselben: der Innenhof, die eingestellten farbigen Volumen, die Rampe. In Sarnen rückte Andrea Roost die Rampe an den Rand und er folgte streng dem rechten Winkel; einzig die geschwungene Lochblechbrüstung der Pausenzone sprengt den orthogonalen Rahmen. Ganz anders in Luzern, wo das Rampenbauwerk die Halle keck in der Diagonale zerteilt und somit die Hauptrolle spielt.
Eine weitere Parallele zwischen Sarna und CSS ist die farbliche Gestaltung; bei den anderen Beispielen hat Andrea Roost weit gehend auf Farbakzente verzichtet. In Sarnen sind die Farben architektenmässig streng – nämlich rot, blau, gelb – und mondrianrein aufgetragen, in Luzern sind sie abgetönt und mit grün und schillerndem Anthrazit ergänzt. Denn in Luzern hat nicht der Architekt, sondern der aus Basel stammende und heute in Katalonien lebende Künstler Jean Pfaff die Farben bestimmt; sie wirken weniger plakativ und verbinden sich besser mit dem Bau.
Eine Gemeinsamkeit der Roost’schen Kommunikationsräume – zumindest der grösseren – ist die laubengangartige Erschliessung der Büros. Bislang hat der Architekt die Büros meist mit Einbauschränken von der Halle abgetrennt, sodass sich die Grenze zwischen der ‹öffentlichen› Halle und den ‹privaten› Büros hermetisch abschliessen lässt. Dass dies nicht zwingend nötig ist, zeigt das BAG, wo viele Türen offen stehen. Weniger streng ist die Abgrenzung beim Neubau in Luzern, wo Glaswände nur noch eine dünne Membran zwischen Korridor und Büros bilden; die Grenze zwischen öffentlich und privat ist praktisch aufgehoben.

Das 4. Obergeschoss zeigt die Struktur in einem Normalgeschoss des Bürohauses. In den Seitenflügeln sind die Korridore zu breiten Zwischenzonen ausgeweitet.
Die drei Höfe des ursprünglichen Wettbewerbsprojekts zeigen sich auch im Erdgeschoss des fertigen Baus: Kommunikationshof 1, Anlieferungshof 2, Gartenhof 3.
Im Querschnitt durch den Kommunikationshof 1 und den Anlieferungshof 2 ist die Rampe als raumbestimmendes Element im CSS-Bürohaus sichtbar.

Der Raum lebt
‹Kommunikationsraum› klingt gut, doch mit schöner Architektur allein ist es nicht getan. Damit die Räume auch benutzt werden, hat Andrea Roost in all seinen Räumen die Laubengänge stellenweise zu Pausenecken oder Servicestationen ausgeweitet. Damit geht er natürlich das ‹Risiko› ein, dass sich Dinge ansammeln, die er im Plan nicht vorgesehen hat: Kopiermaschinen samt Zubehör, ‹falsches› Mobiliar oder Anschlagbretter – Ablagerungen, wie es sie in jedem Gebäude gibt. Ist das schlecht? Für das puritanische Architektenauge vielleicht, doch diese ‹Krusten› sind ein Zeichen dafür, dass die Räume leben und nicht nur stumm ihre Schönheit darbieten.

Links: Der Innenraum des Sarna-Hauptgebäudes (1993) ist am direktesten mit dem CSS-Neubau in Luzern verwandt.

Mitte: Im Bundesamt für Gesundheit (1996) ist eine Kaskadentreppe in die achtgeschossige Betonwand eingeschnitten.

Rechts: Im Pharmagebäude der Universität Basel (1999) entwickelt sich der Kommunikationsraum nur über drei Geschosse.

Neubau CSS Versicherung
2005

Tribschenstrasse 21
Luzern

Bauherrschaft
CSS Versicherung AG

Architektur
Andrea Roost
Bern

Martin Lüthi
Anita Stucki
Damian Lisik
Georges Dietisheim
Chantal Bornand

Generalunternehmen
Anliker
Emmenbrücke

Armin Gehrhardt
Martin Ulrich

Kunst
Jean Pfaff, Ventallò (E)

Anlagekosten
(BKP 1–9)
CHF 75 Mio.

Gebäudekosten
(BKP 2/m)
CHF 480.–

Vorgestelltes Projekt

EBP AG / Lichtarchitektur

Schulanlage Walka Zermatt

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