Die Zukunft des Bauens steht

Jenny Keller
22. September 2016
Ansicht Nordost mit überdeckter Anlieferung der Robotikhalle. Bild: © Andrea Diglas / ITA/Arch-Tec-Lab AG

Am Donnerstag, 21. September, konnten Medienvertreter erstmals «einen Blick in die Zukunft des Bauens» werfen, wie Ulrich Weidmann, Vizepräsident für Personal und Ressourcen der ETH, es formulierte. Diese Zukunft heisst «Arc_Tec_Lab» und erhebt sich auf der bestehenden Parkgarage hinter dem HIL, wo man Architektur bisher studiert hat, an der ETH Hönggerberg. Planung und Fertigung des Gebäudes bildeten ein integrierter Prozess, gesteuert von den sechs Professuren des 2010 gegründeten Instituts für Technologie in der Architektur (ITA) unter Vorsteher Sacha Menz. Ressourcenschonend, räumlich verdichtet und mit minimaler Gebäudetechnik ausgestattet, steht das «Arc_Tec_Lab» für das, nennen wir es «neue Bauen 2.0». Innen werden neue Erkenntnisse tagtäglich angewandt und weiterentwickelt; zum einen im Professurgeschoss im ersten Obergeschoss, zum anderen in der Robotikhalle darunter. Entwickelt wurde das «Arc_Tec_Lab» interdisziplinär in einem kollaborativen Planungsprozess der betiligten Partner. Dieses Reallabor soll im Massstab 1:1 Erkenntnisse liefern, die der ETH als Bauherrin einerseits und als Architektur- und Ingenieurhochschule andererseits einen nachhaltigen Nutzen versprechen.

Ansicht Nordwest auf Professurgeschoss und darunterliegende Robotikhalle. Bild: © Andrea Diglas / ITA/Arch-Tec-Lab AG

Wer auf dem Hönggerberg einen technoiden Neubau erwartet, sieht die Zukunft des Bauens falsch: Über eine Passerelle gelangt man direkt vom HIL (die Fassade wurde beim ehemaligen Ausstellungsraum des gta geöffnet) in den offenen Leichtbau. Und der Kontrast hätte bei der Besichtigung nicht krasser sein können: Hier gewellte Ausdrucke von Architekturfotografien in schummriger HIL-Atmosphäre, vor denen längst niemand mehr stehenbleibt, dort ein heller, freundlicher, grosszügiger aber einfach gehaltener Übergang in eine endlich aktuelle und vielversprechende Welt des Bauens. Eine verglaste Pfosten-/Riegelfassade, die den Aussenraum in das Gebäude bringt, eine offene Galerie und eine geschwungene Dachkonstruktion aus Holz (als grosser 3-D-Druck gefertigt, wie Fabio Gramazio von Gramazio Kohler Research erklärte) charakterisieren den Innenraum. Die Dachstruktur mit Spannweiten von rund 15 Metern besteht aus 168 seriell und robotisch gefügten und genagelten Fachwerkträgern, die die gesamte Technik von Brandschutz bis Beleuchtung aufnehmen. Zwei mächtige, freistehende Stahlstützen, in der Mitte raumhaltig, welche mit 10 weiteren die Lasten des Gebäudes durch das Dach der Parkgarage ableiten und es aussteifen, spannen an der nordwestlichen Schmalseite einen Vorraum auf. Sie stemmen den vorkragenden Kubus des Professurgeschosses in die Höhe, wodurch eine überdachte Eingangsituation entsteht. Im doppelten Boden zwischen Professurgeschoss und der Robotikhalle befinden sich 120 Airboxen, die die Lüftung, Heizung und Kühlung des Gebäudes übernehmen. Im «Arch_Tec_Lab» kommt die Null-Emissions-Technologie im Sinne von Hansjürg Leibundgut zum Einsatz. Entwickelt hat sie Arno Schlüter, der beim emeritierten Haustechnik-Professor der ETH doktoriert hat. Auf eine dichte Bauweise, wie sie von anderer Seite propagiert wird, wurde hier bewusst verzichtet. Das Tragwerk kommt dank der aussteifenden Stützen ohne Kerne und Schächte aus, was eine flexible Nutzung und eine Anpassung an sich wandelnde Bedürfnisse ermöglicht.

Ansicht Südwest mit Passerelle zwischen HIL-Gebäude und Arch_Tec_Lab. Bild: © Andrea Diglas / ITA/Arch-Tec-Lab AG

Die Professuren haben den ihnen zustehenden individuellen Platz zugunsten von Gemeinschaftsflächen halbiert. Deshalb herrscht ein offenes und grosszügiges Raumgefühl. Die halbtransparente Holzdecke schafft eine warme, freundliche und positive Atmosphäre –  wieder ein direkter Kontrast zum benachbarten HIL aus den 1970er-Jahren. Man treffe sich innerhalb des ITA seit Bezug vor drei Wochen häufiger als man es in den vergangenen sechs Jahren im alten Gebäude getan hat, erzählte Matthias Kohler. Und das ist doch ein erfreuliches erstes Fazit für den Bau der Zukunft: Menschen kommen sich wieder näher. Während unter ihnen Maschinen experimentelle Taten vollbringen.

Galerie mit gewellter Holzdachkonstruktion, die das gesamte Professurgeschoss von 2300m2 überspannt. Bild: © Andrea Diglas / ITA /Arch-Tec-Lab AG
Robotic Fabrication Laboratory mit umlaufender, transparenter Vollverglasung. Bild: © Andrea Diglas / ITA/Arch-Tec-Lab AG

Zahlen und Fakten
Beteiligte Professuren
Architektur, Bauprozess, Koordination: Prof. Sacha Menz, Professur  für Architektur und Bauprozess
Holzdach und Robotic Fabrication Lab: Prof. Fabio Gramazio und Prof. Matthias Kohler, Professur für Architektur und Digitale Fabrikation
Tragwerk: Prof. Dr. Joseph Schwartz, Professur für Tragwerksentwurf
Parametric Design: Prof. Dr. Ludger Hovestadt, Professur für CAAD
Bauphysik und Akustik: Prof. Dr. Jan Carmeliet, Professur für Bauphysik
«Zero Emissions»-Konzept: Prof. Dr. em. Hansjürg Leibundgut, Professur für Gebäudetechnik

Gebäudevolumen: 36‘000 m3
Geschossfläche: 6‘600 m2
Geschosse: 2 Untergeschosse, 4 Obergeschosse
Gemeinschaftsräume: 5
Arbeitsplätze: 180

Termine
Vorprojekt: 2010
Bauprojekt und Baueingabe: 2011
Bewilligungsverfahren: 2012
Ausschreibungen und Vergaben: 2012 bis 2013
Baubeginn: Juli 2014
Bauvollendung: Juli 2016
Bezug: September 2016

Finanzierung
Planungs- und Baukosten: CHF 38,0 Mio

Beteiligte Fachplaner
Gesamtplanung Architektur, Koordination: Guido Züger, Institut für Technologie in der Architektur ITA, seit 2014 Arch_Tec_Lab AG
Holzdach: Professur für Architektur und Digitale Fabrikation, Arch_Tec_Lab AG, Dr. Lüchinger+Meyer AG, SJB Kempter Fitze AG, ROB Technologies AG, ERNE AG Holzbau
Robotic Fabrication Laboratory: Professur für Architektur und Digitale Fabrikation, Güdel AG, ABB Schweiz AG
Tragwerk: Dr. Lüchinger+Meyer AG
HLK-Planung: Amstein+Walthert AG
BIM Koordination: Arch_Tec_Lab AG, Guido Züger und Odilo Schoch
Totalunternehmer: HRS Real Estate AG

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