Eine Geschichte des Scheiterns

Susanna Koeberle
1. Juni 2023
Blick auf den anlässlich der diesjährigen Biennale vom Architekturkollektiv AKT und Hermann Czech geteilten Österreich-Pavillon (Foto: © Clelia Cadamuro)

Dass die Geschichte zyklisch verläuft, mag ein Bonmot sein. Aber leider stimmt es. Leider, weil es manchmal so scheint, als ob auch diese Wiederkehr nichts am Verhalten der Menschen ändert. Als «Laboratory of the Future» betitelt Lesley Lokko die 18. Architekturbiennale. Erst seit 1980 gibt es eine solche, und just in jenem Jahr, als Architektur überhaupt erst einmal Teil der Biennale von Venedig wurde, nämlich 1975 unter der Leitung des italienischen Architekten Vittorio Gregotti, tauchte der Begriff Labor bereits auf: «La Biennale. Un laboratorio internazionale», hiess es damals. Schon Ende der 1960er-Jahre wurde nämlich Kritik laut an der Praxis der Biennale, sich gegenüber der Stadt und ihren Bewohner*innen abzuschotten. Denn Giardini und Arsenale bleiben nach Ende der Schau für die Öffentlichkeit geschlossen. Und wenngleich sie offen wären: Sie wären es genau in den unattraktivsten Monaten des Jahres. Auch gegen den Umgang – oder eher den fehlenden Umgang – mit den wachsenden Touristenströmen und der damit verbundenen touristischen Ausbeutung der Stadt protestierte die ansässige Bevölkerung. Als Reaktion darauf war die Biennale Gregottis als produktives Labor in und für Venedig konzipiert. Und wo stehen wir heute? Richtig, nicht viel weiter. Noch schlimmer sogar: Die Lage hat sich deutlich verschlechtert, und zwar in mehrfacher Hinsicht. 

Das Architekturkollektiv AKT und der Wiener Architekt Hermann Czech zeichnen diese Entwicklung im begleitenden Katalog zu ihrem Beitrag minutiös nach. Eine solche Aufarbeitung ist auch insofern richtig und wichtig, als beide Vorschläge für die geplante Öffnung des Österreichischen Pavillons zur Stadt von der Biennale und dem zuständigen Denkmalamt untersagt wurden. «Zur Begründung wurden von der Biennale die Schaffung eines Präzedenzfalls und vom Denkmalamt die durch einen öffentlichen Zugang beeinträchtigte einheitliche Nutzung der Denkmäler Pavillon und Giardini genannt», lautet die lapidare Formulierung, die man in der Medienmitteilung dazu liest. Pavillon und Buch werden zum Symbol einer gescheiterten Idee – oder positiver ausgedrückt: zur Dokumentation einer Recherche und eines Dialogs mit lokalen Organisationen und Forscher*innen. 

Die Publikation legt schon auf den ersten Seiten Fakten auf den Tisch: Die Besucherzahlen der Kunst- und der Architekturbiennale seit dem Jahr 1996 deuten verglichen mit der sinkenden Zahl der Bevölkerung Venedigs darauf hin, dass ein Zusammenhang besteht zwischen diesen Daten. 2022 ist die Einwohnerzahl Venedigs unter die historische Marke von 50'000 gesunken. Die Zahl der verkauften Tickets für die letztjährige Kunstbiennale jedoch wird im Katalog mit über 800'000 angegeben. Im Jahr 1996 kamen hingegen lediglich 70'000 Menschen zur 6. Architekturbiennale, also fast gleich viele Personen wie Venedig damals Einwohner*innen hatte. Ja, leer schlucken ist an dieser Stelle erlaubt. Eine legitime Reaktion wäre auch, gar nicht hinzugehen zu diesem Event. 

Das zweite eingereichte Projekt für den Österreich-Pavillon sah eine Brücke zwischen Stadt und Giardini vor. Zu erleben ist sie nur als Fragment. (Foto: © Flavia Rossi)

Wir haben es dennoch getan, um uns anschliessend die ernüchternde Frage zu stellen, ob die Zeit der Biennale nicht an ihr Ende gekommen ist. Oder in dieser Form an ihr Ende kommen sollte! Denn angesichts der mannigfaltigen Krisen unserer Zeit verliert die Biennale von Venedig mit jedem Jahr immer mehr an Glaubwürdigkeit. «How will we live together?», fragte Hashim Sarkis 2021. Aber wer ist mit «we» gemeint? Ist es nicht zynisch, über Zusammenleben zu reden an einem Ort, wo genau das immer unmöglicher gemacht wird? Je länger man über die Inhalte der diesjährigen Biennale nachdenkt, desto mehr erkennt man, dass sie eine Ansammlung von Dilemmas darstellt. Wie soll man etwas ausstellen bei einem Anlass, der im Grunde seine Berechtigung verloren hat? Die Idee der Nation oder der nationalen Pavillons? Infrage gestellt. Das Problem der Nachhaltigkeit? Quasi unlösbar. Nicht zuletzt deswegen ist dies auch bei Lesley Lokko ein Thema. Und schliesslich: Was macht diese Mutter aller Biennalen mit «ihrer» Stadt, ausser noch mehr zu ihrer «Brandifizierung» und zur Verdrängung der Venezianer*innen beizutragen? 

Das zu überbrückende Gelände zwischen den Mauern des Pavillons und der Giardini. Gebaut wurde der Treppenaufgang bis zum Ansatz der Brücke an der Hofmauer des Österreichischen Pavillons. (Foto: © Clelia Cadamuro) 

Doch worin bestand der ursprüngliche Plan der Kurator*innen überhaupt? Im Zentrum des geplanten Eingriffs stand – und steht – die Forderung nach einem radikalen Umdenken. Dabei scheint das Team nach wie vor an die Kraft der Architektur zu glauben. Der österreichische Beitrag zur 18. Architekturbiennale von Venedig heisst «Partecipazione» und indiziert schon nur durch die Wahl des italienischen Wortes, dass es dabei in erster Linie um einen Bezug zum Austragungsort gehen soll: Venezia. Dass der Ausdruck nicht mit Partizipation übersetzt wurde, sondern mit Beteiligung, ist Absicht: Der inflationär verwendete Begriff bedeute bloss noch die Romantisierung der Idee von Mitsprache, wie es im Katalog heisst. 

AKT und Hermann Czech nahmen die Lage des Pavillons am nordöstlichen Rand des Biennale-Areals zum Ausgangspunkt ihres Projekts. Dieses grenzt dort nämlich an ein Quartier, das noch vorwiegend von der lokalen Bevölkerung bewohnt wird. Die Idee war, den Pavillon zum Stadtteil Sant’Elena zu öffnen und einen Teil des Baus während der Laufzeit der Biennale als öffentlichen Versammlungsraum zur Verfügung zu stellen. Die Geste dieser «inhaltlichen Aufladung» des Baus ist schon stark. Umgekehrt: Versammeln können sich die Venezianer*innen eigentlich auch anderswo, dafür sind sie nicht auf eine Einladung der Österreicher angewiesen. Auch hier liegt ein bekanntes Dilemma vor: Ist dieses gut gemeinte Angebot nicht wieder paternalistisch? Geht es am Ende nicht bloss darum, die Ablehnung des Projekts – mit der man natürlich gerechnet hatte – auszustellen, indem man diesen Raum nun leer lässt? Also ähnlich wie das der Schweizer Pavillon tut, die Architektur selbst beziehungsweise in diesem Fall ihre missglückte «Aufladung» zum Exponat zu machen? 

Eine Trennmauer als architektonischer Eingriff – die Gucklöcher geben den Blick frei zur Pavillonhälfte, die für die Venezianer*innen vorgesehen war und nun leer bleibt. (Foto: © Flavia Rossi)

Man verstehe mich richtig: Ich finde es wichtig, dass solche Missstände aufgedeckt und thematisiert werden. Und der gleichnamige Katalog «Partecipazione» leistet dazu einen nicht zu unterschätzenden Beitrag. Doch wer ausser ein paar interessierten Nerds wird dieses Buch lesen? Und natürlich sind auch Diskussionen mit der lokalen Bevölkerung lobenswert. Das hat sich auch der Deutsche Pavillon auf die Fahne geschrieben, und Ähnliches sieht das Programm des Österreichischen Pavillons ebenfalls vor. Aber müsste man nicht viel mehr zivilgesellschaftliche örtliche Initiativen wie etwa die «Biennale Urbana» oder «we are here Venice» noch stärker unterstützen, die auch in der Publikation zu Wort kommen? Eine wahre Geste des zivilen Ungehorsams wäre, den Pavillon gar nicht erst zu bespielen – auch das so ein unsägliches Wort –, sondern die Mittel stattdessen solchen Organisationen zur Verfügung zu stellen. Die sozialräumlichen Verhältnisse nachhaltig verändern kann man nur auf politischer Ebene. Alles andere bleibt eine «Ausstellung». Auch das aus aller Welt anreisende Biennale-Publikum wird daran wenig ändern. Vielleicht sind Beiträge wie «Partecipazione» aber auch die einzig ethisch vertretbare Form, überhaupt an einem solchen Format teilzunehmen. Denn Venedig ist nicht einfach nur eine schöne Insel: Ihr Schicksal geht uns alle an.

Im Pavillon sind die Ergebnisse der Recherche zu sehen. (Foto: © Flavia Rossi)

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