Mit Ehrfurcht und gesundem Selbstbewusstsein

Jenny Keller
22. Januar 2016
Bild: Die grosse Treppenhalle im Neubau. © Roman Keller

Es ist das grösste zivile Bauprojekt des Bundes in Volumen gemessen. Gekostet hat es 111 Millionen Schweizerfranken und gedauert hat es etwa so lange wie die steile Karriere der Architekten Emanuel Christ und Christoph Gantenbein. In den Gesamtkosten sind auch die Sanierungen und Ertüchtigungen des Altbaus einberechnet, die teilweise abgeschlossen sind, teilweise noch anstehen. 2017 bis 2019 wird der Westflügel und der Turm saniert.

Mit einem expressiven gezackten Anbau, der das Gullsche historistische Schlösschen von 1898 zu einem Ganzen schliesst, haben Christ & Gantenbein 2002 den internationalen Wettbewerb für die Sanierung und Erweiterung des Landesmuseums gewonnen. Es sei danach «ein sehr öffentliches Projekt» geworden, sagt Emanuel Christ an der Führung durch den Neubau und spielt damit auf zwei Volksabstimmungen und den Bundesgerichtsentscheid an. Das, was jetzt in Tuffbeton vor uns steht, sehe nicht mehr gleich aus wie damals, sagt er, die architektonische Idee sei aber die gleiche geblieben: Auf drei Punkte hinuntergebrochen sind das der Blick nach aussen, die verbindende Brücke und die Dachlandschaft.

Bild: Der neue skulpturale Flügel © Roman Keller
Bild: Ensemble aus Alt und Neu vom Park aus gesehen. © Roman Keller

Die eigentliche Erfindung des Entwurfs ist die Brücke, die den Altbau von Gustav Gull, der als U konzipiert worden ist, zu einem Ganzen schliesst. Mit einem möglichst kleinen Fussabdruck wird auf den Park und seine Bäume Rücksicht genommen, und die expressive Form schafft auch Aussen neue Räume, die «beinahe innerstädtisch anmuten», so die Architekten. Die Umgebungsarbeiten werden im Frühjahr in Angriff genommen, und die Öffentlichkeit darf erstmals am 1. August in das neue Landesmuseum. Dann werden die Ausstellungen eingerichtet sein.

Der Neubau kann jetzt und nur für kurze Zeit völlig unbespielt seine architektonische Gestalt zeigen. Was man sieht ist eindrücklich: Rohe, sorgfältig geschalte Betonwände – Anderthalb Jahre habe man am Schalungsbild entworfen! – eine Dachlandschaft, die sich hebt und senkt, und ein moderner Terrazzo fliessen durch die unterschiedlichen Raumabfolgen. Baubronze wurde nicht spärlich eingesetzt und ist Material von Handläufen und Leuchten, die sich zum Teil aus dem Geländer entwickeln, teilweise als eigene Skulpturen an den Wänden montiert sind. Runde Öffnungen, aus dem Beton gefräst und mit Baubronze eingefasst, lassen spärlich Licht ins Innere, rahmen aber sehr bewusst gesetzt die Sicht auf die Stadt, den Park und den Altbau, der in seiner Architektur den Architekten Pate gestanden sein soll. «Der Altbau ist eigentlich das erste Exponat des Landesmuseums», sagte Emanuel Christ auf dem Rundgang.

Der neue Parkflügel des Landesmuseums. © Roman Keller

Die Wegführung und der Wechsel von grossen zu kleinen Räumen haben sie sich von Gull abgeschaut, sagt Emanuel Christ, doch das Thema werde variiert. Befindet sich im Altbau die Ruhmeshalle, ist die neue Treppenhalle als Gegensatz dazu zu verstehen, die «etwas Übermütiges» habe. Sei seien Gull mit Ehrfurcht und gesundem Selbstbewusstsein begegnet, denn es gehe ihnen bei ihrer Architektur darum, lustvoll mit dem Vorhandenen zu arbeiten und daraus etwas Neues zu schaffen. Neu, und ungewohnt ist der rohe Charakter der Decken, die Technisches wie Lüftung, Licht und Medienleitungen unverkleidet zeigen. Damit soll das Museum zu einer Werkhalle werden und experimenteller Ort sein, der sein Aussehen je nach Ausstellung verändert. Neu und eine regelrechte Erfindung sei auch der Tuffbeton, der mit den ungewöhnlichen Zuschlägen seine Beziehung zum Altbau manifestiert. Neu wird dereinst auch der Eingang in das Museum sein, der sich im «Gelenk» zwischen altem Museumstrakt und dem Flügel an der Limmat, dem Kunstgewerbeflügel, befindet. Ein Restaurant mit Bar und ein Museumsshop sollen die ehemalige Schmuddelecke ebenfalls aufwerten.

Die eigentliche Leistung am Platzspitz ist deshalb nicht nur eine architektonische und denkmalpflegerische – es ist auch eine stadtsoziologische: Vom Landesmuseum wird man in Zukunft schneller in den wunderschönen Park mit trauriger Vergangenheit gelangen, der durch den Neubau nicht zerstört, sondern im Gegenteil, erst richtig erschlossen wird.

Bild: Neue Betondecke der Garderobe im sanierten Altbau. © Roman Keller
Renoviertes Treppenhaus im Altbau. © Roman Keller
Treppenhaus mit Fenster zum Park. © Roman Keller
Die grosse Treppenhalle im Neubau. © Roman Keller
Zugang zu den Ausstellungen. © Roman Keller
Die neuen Räume als museale Werkhallen. © Roman Keller
Erdgeschoss. Plan: Zvg
Erstes Obergeschoss. Bild: Zvg
Zweites Obergeschoss. Bild: Zvg
Schnitt durch die Treppenhalle. Plan: Zvg
Schnitt mit der Schnittstelle zwischen Alt und Neu. Plan: Zvg
Situationsplan. Plan: Zvg

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