Geringe Wertschöpfung, schwindende Ressourcen

Inge Beckel
12. 4月 2011
Auch das ist ein Ferienhaus, das untere Turrahus im Safiental: Alt, aber «reaktiviert» und zeitgenössisch erneuert (Bild: Stiftung Ferien im Baudenkmal) 
Kapitalanlagen, Erbfolgen und Stockwerkeigentümergemeinschaften

In der Ausgabe vom 12. März war in der NZZ zu lesen, dass in der Gemeinde St. Moritz in 340 Haushalten während 5 Jahren kein Strom gezählt wurde. 340 Wohnungen oder Häuser waren nicht einmal in der Zeit ansonsten absoluter Spitzenbelegung zwischen Weihnachten und Neujahr bewohnt. An keinem der 365 Tage eines Jahres waren die Betten in jenen Wohnungen also «warm». Eine Immobilie wird in einem solchen Fall zur reinen Kapitalanlage. Sie frisst Boden und Platz – der entsprechende Wert, hinterlegt in einem Bankschliessfach oder auf einem Nummernkonto, bräuchte kaum oder keinen Platz.
Beim Bau und Verkauf dieser besagten 340 Immobilien haben die ehemaligen Landeigentümer, die Planer, Unternehmer, Immobilienhändler und Notare Geld verdient. Doch sind die Gebäude einmal fertiggestellt und hat der Besitzerwechsel stattgefunden, sinkt deren Wertschöpfung bei Nichtgebrauch sozusagen auf Null. Denn bleibt eine Ferienimmobilie während eines ganzes Jahres leer, kann der Metzger im Dorf dem ausbleibenden Feriengast kein Stück Fleisch verkaufen und die Bäckerin nicht ein einziges Gipfeli, die Boutique setzt kein Deux-Pièces ab, das Sportgeschäft kann keine Skis vermieten. Es wird kein extra Kinobillett verkauft und auch die Bergbahnen gehen leer aus. Die Wertschöpfung für die Gewerbetreibenden vor Ort bleibt aus.
Gründe dafür, warum Eigentümer ihre Ferienimmobilie leer stehen lassen, gibt es verschiedene. Neben der Möglichkeit, Geld in Immobilien anzulegen, ist beispielsweise auch das Problem der alten Zweitwohnungen bekannt, etwa solchen aus den 1970er-Jahren, die heute oft weder den Komfortansprüchen noch den ästhetisch-atmosphärischen Vorstellungen der Ferienmachenden entsprechen. Auch von ihren Eigentümern werden diese Wohnungen zuweilen nicht mehr geschätzt. Oder es stehen Nachfolgeregelungen an, und die Erben sind sich uneinig über die Zukunft ihrer «neuen» Ferienwohnung oder haben kein Geld für die nötigen Renovationsarbeiten. Oder es handelt sich gar um eine Stockwerkeigentümergemeinschaft eines Ferien-Mehrfamilienhauses, die sich nicht einig ist über die Zukunft der sanierungsbedürftigen Liegenschaft.

Auch das ist ein Feriendorf: Feriensiedlung in Urnäsch der Schweizer Reisekasse Reka, eröffnet 2008. Die Reka ist die bedeutendste Organisation für soziale Ferienhilfe in der Schweiz (Bild: Reka) 
Feriendörfer oder Resorts

Kalte Betten werden durch Ferienwohnungen oder -häuser generiert, die in Privatbesitz und deren Eigentümer nicht verpflichtet, nicht willig oder nicht in der Lage sind, den Wohnraum in jener Zeit zu weiterzuvermieten, in der sie selbst nicht dort sind. Bei Neubauten wird heute nun zusehends versucht, die Mehrheit der Eigentümer von Zweitwohnungen – etwa in einem neuen Feriendorf – dazu zu verpflichten, diese ausserhalb der Zeiten, da sie selbst anwesend sind, an andere Feriengäste vermieten zu können.
Im vergangenen November haben das Amt für Wirtschaft und Tourismus Graubünden, die Berner Wirtschaft beco, der Kanton Wallis sowie Landal GreenParks, ein niederländisches Unternehmen im Bereich Ferienparks und Campingurlaub in natürlicher Umgebung, den Leitfaden «Ansiedlung von Feriendörfern und Hotels. Leitfaden für Gemeinden, Behörden und Tourismuspromotoren» (pdf hier) herausgegeben. Ziel der Verantwortlichen ist es, über eine kontinuierliche Bewirtschaftung von Feriendörfern oder so genannten Resorts eine gute Auslastung der neuen Anlagen und damit mehrheitlich warme Betten zu erhalten. Doch ob die Herausforderung gelingt, mit den Feriendörfern Betriebe mit echten warmen Betten zu generieren, oder ob es sich nur um eine verdeckte Form von Zweitwohnungen handelt, ist eine Frage, die sich die Leitfaden-Herausgeber im Vorwort selbst stellen.
Die neuen Anlagen sind städtebaulich sowohl als kompakte, urban wirkende Anlagen als auch als Ansammlung von kleineren Häuschen oder so genannten Maiensässe zu finden. Ein gutes Beispiel ersterer Kategorie ist das bereits eröffnete RockResort in Laax. Es ist als Ensemble grösserer, kubisch gestalteter Bauten konzipiert und liegt auf einem ehemaligen Parkplatz. Entsprechend ist es gut an die nahe Luftseil- wie Gondelbahn angebunden. In Tujetsch in der Surselva ist nun aber ein Resort geplant, das wohl wie in Laax am Fusse einer Bergbahn zu liegen kommt. Neben der Fläche des bestehenden Parkplatzes soll dort zusätzlich jedoch ein zweites, leicht grösseres Stück Land neu eingezont werden. Auch die Gemeinde Lantsch/Lenz beispielsweise plant ein Ferienresort mit 68 Häusern, wobei erneut zusätzlicher Boden einzuzonen ist.

Mehr Social denn Shareholder Value

Investoren sind an grossen, zusammenhängenden Flächen interessiert, das ist einleuchtend. Doch soll das Land auch möglichst günstig zu haben sein – entsprechend werden Investitionswillige oft ausserhalb der Bauzone fündig. Liegt der Boden einer geplanten künftigen Feriensiedlung, oder Teile davon, nun aber ausserhalb der Bauzone, muss das fragliche Stück Land im Zuge einer Ortsplanungsrevision eingezont werden. Und werden in der Folge tatsächlich Teile von heutigem Nichtbaugebiet eingezont, so knabbern die verantwortlichen Projektentwickler und Gemeindevertreter damit just an jener Ressource – der Landschaft –, mit der sie werben, nämlich: Ferien im Grünen!
Die Grösse der erwähnten Anlage in Tujetsch soll dereinst 23 Bauten mit gegen 800 Betten umfassen. Diese 800 Betten werden dann, so die Absicht, einer Bevölkerungszahl von rund 1800 Einwohnern und Einwohnerinnen gegenüberstehen. In Lantsch/Lenz treffen die neu geplanten 500 Betten gar nur auf 534 Einheimische, so die Einwohner-Statistik der Gemeinde von Ende 2010. Dies sind krasse Missverhältnisse.
Neben den Interessen der Investoren gilt es auch jene der Einheimischen zu wahren und zu schützen. Ein Dorf, wo im Laufe eines Jahres oft die Fensterläden der Mehrzahl der Bauten geschlossen sind, wirkt ausgestorben, was kaum zur Lebensqualität der dort im Alltag wirklich Wohnenden und Arbeitenden beitragen kann. Nicht allein den Shareholder Value gilt es also im Auge zu behalten, sondern ebenso den Social Value – auch zum Wohle der Feriengäste!

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