Anwalt des «übergeordneten Ganzen»

Inge Beckel
13. Oktober 2011
Citypark von Diener & Diener Architekten. (Bild: Stadt Zug)

Was motiviert Sie, morgens zur Arbeit zu kommen?

Nun, die Arbeit als Stadtarchitekt ist spannend und vielfältig. So hat man etwa von Kleinsteingriffen in bestehende Bauten bis hin zu städtebaulichen Fragen mit allen Massstäben zu tun. Auch ist der Umgang mit sehr unterschiedlichen Menschen, mit Privaten, Fachleuten, Investoren, Menschen aus der Wirtschaft, mit Politikern sehr spannend. Besonders bei Letzteren braucht es häufig Überzeugungskraft und gleichzeitig ein strategisches Vorgehen. Politiker und Politikerinnen müssen gewisse Interessen vertreten, also muss man sie auf die Auswirkungen ihrer Wünsche oder Forderungen auf die Stadt und ihre Menschen ansprechen und Lösungen aushandeln. Generell braucht es immer ein Zusammenführen aller Beteiligten, um auf einer klar definierten Ausgangslage eine gemeinsame Zielsetzung zu erarbeiten, die mittels Argumenten, Überzeugungskraft und auch Fingerspitzengefühl zu untermauern ist.

Zug, eine typische Innenstadtsituation im Umbruch. (Bild: Stadt Zug)

Worin liegen die Schwerpunkte Ihrer Arbeit in der Stadt Zug?

Es gibt derzeit zwei Schwerpunkte, die im Vordergrund stehen. Einmal ist es die Verdichtungsproblematik, die in der Schweiz wohl an sehr vielen Orten ein wichtiges Thema ist. Die Stadt Zug ist besonders stark vom Wachstumsdruck betroffen. So hat uns ein Verantwortlicher eines globalen Konzerns gesagt, Zug sei der einzige Ort für dieses Unternehmen weltweit, wo er momentan Boden gewinnbringend verkaufen kann. Wir wollen Gebiete verdichten, die gut erschlossen sind und die sich städtebaulich dafür eignen. Demgegenüber sollen Quartiere, etwa am Hang oder die historische Gartenstadt, nur sehr beschränkt verdichtet werden.

Andererseits sind wir daran, ein Hochhausleitbild zu erarbeiten. Auf Stadtzuger Boden stehen heute über 40 Hochhäuser (als Hochhaus gilt ein Bau ab 25 Metern); weitere 40 sind derzeit in Planung. Man muss wissen, dass Zug 27'000 Einwohner und Einwohnerinnen zählt, gleichzeitig haben wir 33'000 Arbeitsplätze auf Stadtgebiet. Ende letzten Jahres hat der Stadtrat ein Hochhausleitbild verabschiedet. Doch angesichts des erwähnten ökonomischen Drucks müssen wir dieses für den Innenstadtbereich spezifizieren. Dabei unterstützen uns Meili Peter Architekten. Ziel ist es, Hochhauscluster zu definieren. Wir wollen Hochhausgruppen – und nicht einzelne Türme auf dem ganzen Stadtgebiet.

Hochhaus Uptown von Scheitlin Syfrig Architekten (Bild: Architekten)

Wie schützt Zug Normalverdiener vor steigenden Mieten? Wie werden diese Massnahmen umgesetzt?

Wir haben vier Zonen für preisgünstigen Wohnungsbau ausgeschieden. Es sind Neueinzonungen, denn in bestehenden Bauzonen ist es schwierig, eigentumsbeschränkende Massnahmen umzusetzen. Die Neueinzonungen definieren sich als Wohn- und Arbeitszonen, die mit der neu geschaffenen Zone für preisgünstigen Wohnungsbau überlagert werden.
Konkret müssen in diesen Zonen mindestens 50 Prozent günstiger Wohnraum erstellt werden, und diese müssen zuerst oder zumindest gleichzeitig mit den freitragenden realisiert werden. Für die Mietwohnungen gibt es genaue Bestimmungen; über die Anlagekosten werden etwa Obergrenzen der Mieten berechnet. Die Vermietung der Wohnungen wird von der Stadtverwaltung überwacht, die Mieterinnen und Mieter sollen fünfjährlich einen Mietindex erhalten, damit sie die Rechtmässigkeit ihrer Miete überprüfen können. Erfahrungen haben wir bis jetzt natürlich noch nicht sammeln können, doch laufen derzeit für alle Areale Studienverfahren. Vorgesehen sind insgesamt 350 günstige Mietwohnungen.
 
Wie soll die Stadt in zehn Jahren aussehen?

Wir wollen eine Stadt sein und bleiben, die für alle Schichten der Bevölkerung lebenswert ist. Das ist auch eines der Ziele des Stadtrats, die soziale Durchmischung beizubehalten. Zug weist eine erstaunliche Heterogenität auf, was ich als hohe Qualität erachte. Es gibt sehr unterschiedliche Quartiere und Menschen, die sich hier bewegen, hier arbeiten und leben. Diese Heterogenität oder Vielfalt muss erhalten, möglicherweise gar gestärkt werden.

Alters- und Pflegezentrum Frauensteinmatt von Meier Hug Architekten. (Bild: Roman Keller)

Worin besteht Ihrer Meinung nach die Arbeit eines Stadtarchitekten? Wie kann er heute im Sinne der Nutzenden wirksam handeln?

Ja, die Rolle des Stadtarchitekten oder Stadtbaumeisters hat sich sicherlich gewandelt in den letzten Jahrzehnten. Es geht nicht länger darum, wichtige öffentliche Gebäude zu bauen oder städtebaulich markante Lagen zu bespielen. Vor drei Jahren gab es hier in Zug sogar die Diskussion, ob es überhaupt einen Stadtarchitekten brauche, denn die Projektleiter würden ja die einzelnen Vorhaben begleiten. Ich würde behaupten, die Funktion der Stadtarchitekten ist heute unbestritten. Es bestehen auch Bestrebungen, die Abteilung personell zu verstärken.

Ein Stadtarchitekt muss den Überblick behalten, muss gewichtige Vorhaben in notwendigem Masse antizipieren können. Er muss in der Stadtentwicklung gewisse, zuvor definierte und möglichst in der Öffentlichkeit ausgehandelte Vorstellungen zu einem «übergeordneten Ganzen» leiten. Dass es die Stadt als räumliches Kontinuum gibt, nicht einfach als zufällige, lose Ansammlung von einzeln bebauten Patchworks. Es geht um die weichen Faktoren, die den Menschen oft schwer zu erklären sind. Da muss man Stehvermögen und Durchhaltewillen haben. Schliesslich meine ich, dass ein Stadtarchitekt auch Anwalt der Gesellschaft, also des Allgemeinwohls ist – und selbstverständlich des qualitativ guten Bauens!

Zug, heterogene Downtown. (Bild: Guido Baselgia)

Vorgestelltes Projekt

EBP AG / Lichtarchitektur

Schulanlage Walka Zermatt

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