Blick über den Tellerrand

Inge Beckel
20. März 2014
Handwerkerschule in Malaa bei Nairobi, Kenia (Bild: Matthias Kestel © Fachgebiet Holzbau der TU München)

Bauen ausserhalb der «ersten» Welt als Inspiration
Als die eigentliche Podiumsdiskussion, zu der man geladen hatte, vorbei war, meinte der Moderator – seines Berufes auch Architekturkritiker – in kleiner, trauter Runde, die Zeit der Stararchitekten sei wohl vorbei. Während er früher, habe er von der Fertigstellung eines Neubaus eines der Stars gehört, ins Flugzeug gestiegen sei und sich dessen «jüngstes Kind» angeschaut habe, beschleiche ihn heute zuweilen eher ein Gefühl eines gewissen Dé­jà-vu denn glühendes Interesse, sehe er denn schliesslich Bilder eines solchen Werks. So ein Statement – sicherlich ein persönliches.

Gleichzeitig aber finden sich derzeit wiederkehrend Ausstellungen und Veranstaltungen, die mehr soziale und gesellschaftliche als formale Fragen der Architektur thematisieren. So hatte sich etwa im vergangenen Winter die Architekturgalerie am Weissenhof in Stuttgart Sozialen Projekten gewidmet. Dann war im Architekturmuseum der TU München die Ausstellung Afritecture. Bauen mit der Gemeinschaft zu sehen. Oder in Zürich beispielsweise wird derzeit der Empowerment Shack von Brillembourg & Klumpner gezeigt. Anhand der Ausstellung Afritecture möchte ich meinerseits einige Aspekte skizzieren, die die Aktualität von Bottom-up-Ansätzen zeigen und damit just dem Top-down-Prinzip der Stararchitektur widersprechen.

Mapungubwe Interpretation Centre in Limpopo, Südafrika (Bild: akdn.org)

Nicht nur mit den Augen wahrnehmen
Besucht man eine Ausstellung in Münchens Pinakothek der Moderne, so betritt man bekanntlich zuerst das Foyer des grosszügig angelegten Baus, das vor allem durch seine Weite und Höhe, tendenziell auch durch die Leere des Raums besticht. Bevor man vergangenen Winter nun aber in die Ausstellung des Architekturmuseums, Afritecture, gelangen konnte, wurde man beim Eingang aufgefordert, die Schuhe auszuziehen. Nun, sozusagen barfüßig, wurde die Wahrnehmung nicht mehr nur über die Augen gelenkt, sondern stets gleichzeitig über das Erfühlen des weichen, warmen, mit Karton ausgelegten Bodens.

Bilder und Texte an Wänden und auf dem Boden führten die Besucherin, Modelle im Raum ergänzten die Präsentationen. Es waren weniger Namen, die die insgesamt 26 Projekte aus zehn afrikanischen Staaten gliederten, vielmehr Statements aus dem Umfeld oder Statements von Nutzerinnen und Nutzern; weiter Fotos oder über Kopfhörer verfolgte Erzählungen. Die eigentlichen Bauwerke standen nicht isoliert im Vordergrund der Darstellungen, vielmehr waren es Geflechte aus unterschiedlichsten Informationen mitsamt den Informationsträgern, die der im gelebten Alltag gezeigten Architektur Atmosphäre, ja eine gewisse Verbindlichkeit verliehen.

Pädiatrie-Zentrum in Port Sudan, Sudan (Bild: Massimo Grimaldi © Courtesy Massimo Grimaldi and Emergency ngo)

Aga Khan Award als Vorreiter
Neben den Kriterien, dass weder der Name des Architekten noch das Objekt selbst im Zentrum der Betrachtung standen, war es die Lage der Bauten – ausserhalb von Europa und Nordamerika, wie der Name Afritecture nahelegt –, die das Gezeigte einte. Es war nicht die so genannt erste Welt, die den Schwellenländern und «anderen» Welten als Vorbild dienen sollte. Nein, es waren Beispiele aus eben diesen Nicht-erste-Welt-Ländern, die als beispielhaft gelten. Und während etwa China die «alte» oder eben lange «erste» Welt sozusagen mit deren eigenen Mitteln zu übertrumpfen sucht, steht Afrika, wie in der Ausstellung thematisiert, für mögliche Alternativen.

Ein wesentliches Moment in der Wahrnehmung dieser Architektur, die nicht primär in den Fußstapfen der europäisch geprägten Moderne und mit ihr des International Style der Nachkriegszeit, seinerseits unter nordamerikanischem Einfluss, steht, ist der Aga Khan Award. Dieser wird seit 1980 im Dreijahresrhythmus vergeben, womit 2013 der zwölfte Zyklus stattgefunden hat. Nun prämieren die Juroren und Jurorinnen des Aga Khan Award meist Bauten, die auch uns vertraut sind (gewisse könnten gar bei uns stehen). Diese greifen formal sowohl auf regionales Bauen zurück – wie das Mapungubwe-Zentrum von Peter Rich oder die Maria-Grazia-Cutuli-Primarschule von Architekten aus Italien – als tendenziell auch auf das abstrakt internationale Bauen, wie das Pädiatrie-Zentrum von Tamassociati oder der Wiederaufbau eines Flüchtingslagers von UNRWA und NBRC (mehr hier).

Maria-Grazia-Cutuli-Primarschule in Herat, Afghanistan, 2011 (Bild: akdn.org)

Sehnsucht nach Nähe und Verbindlichkeit
Nun sind in viele dieser Projekte Menschen aus Europa oder Nordamerika involviert, sei es, dass sie weisser Hautfarbe sind, sei es, dass Afrikaner hier studieren, arbeiten und wohnen. Dieser wie auch immer geartete Transfer ist notwendig und richtig. Dennoch geht es um Bauten, die je vor Ort lokal verankert sein sollen und sich in eben dieses lokale Umfeld einbinden oder mit diesem kommunizieren. Es geht um Bauten, die den Menschen vor Ort dienen und ihnen gute und lebenswerte Räume zum Zwecke ihrer Nutzung bieten. Zuguterletzt aber sind es Frauen und Männer Afrikas, die ihre Zukunft daselbst aktiv (mit-) gestalten wollen, auch baulich.

Das Bauen ausserhalb von Europa ist oft einfacher, unmittelbarer, ja verbindlicher – damit auch kostengünstiger. Vielleicht liegt eine gewisse Sehnsucht, die sich in den diversen Ausstellungen und Artikeln in der «ersten» Welt manifestiert, just in dieser Nähe und Verbindlichkeit einer Architektur, die sich auf das Wesentliche konzentrieren muss. In einer Verständlichkeit, die stark auf die Gemeinschaft der Menschen ausgerichtet ist, auf ihre Erfahrungen, Begegnungen und Beziehungen im täglichen Leben.

Wiederaufbau des Flüchtingslagers Nahr el-Bared in Tripoli im Libanon (Bild: akdn.org)

Gegenseitiger Austausch
Rückblickend fühlt man sich zuweilen an die Jahre erinnert, als Aldo und Hannie van Eijck zusammen mit Paul Parin die Siedlungen der Dogon besuchten oder als der französische Anthropologe Claude Lévi-Strauss 1955 Traurige Tropen publizierte oder, ebenfalls 1955, Le Corbusier Notre-Dame-du-Haut in Ronchamp fertigstellte. Dieser Ansatz, uns von Afrika und anderen aussereuropäischen Ländern inspirieren zu lassen, ist sicherlich ein zukunftsweisender. Eher jedenfalls als einer, der Errungenschaften der «ersten» Welt unhinterfragt und ohne die Kenntnis der Bedürfnisse vor Ort – wie lange Jahre geschehen – dorthin exportieren will.

Gewinnbringend ist generell der gegenseitige Austausch von Dingen und Wissen, die die je andere Seite nicht kennen oder nicht haben – oder im Laufe der Zeit verloren haben und sich wieder aneignen müssen. Es sind dies Dinge oder Prozesse, die dem Alltagswissen und der Alltagserfahrung der Menschen erwachsen, nicht von oben erteilte Einzelentscheide. Eben Bottom-up- und nicht Top-down-Ansätze. So sagte doch ein Autor namens Lim Jee Yuan schon vor einem guten Vierteljahrhundert: «The widening social inequalities within and between nations show the failure of conventional development approaches which are imposed from the top down, using capital-intensive technologies benefitting only a minority and neglecting the majority.»

Dieser Artikel erschien ursprünglich im eMagazin #10|14 auf German-Architects.com

Weiterführende Links & Literatur
Aga Khan Award for Architecture

Andres Lepik (Hg.), Afritecture. Bauen mit der Gemeinschaft, Ostfildern 2013

Andres Lepik (Hg.), Moderators of Change. Architektur, die hilft, in Zusammenarbeit mit Anne Schmedding, Jahresring 58, Jahrbuch für moderne Kunst, Ostfildern 2011

Danielle Fischer, Mission oder Austausch? Bauen in Äthiopien, in: TEC21, 21/2013, S. 16–18

Rethinking architecture in Africa, in: uncube, no. 17, 19th December 2013

Anmerkung
1) Lim Jee Yuan, The Malay House, Pulau Pinang 1987, S. 10

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