Centre Le Corbusier – Blick ins Innere

Manuel Pestalozzi
25. Juni 2015
Beton, Stahl, Gummi, Eichenholz und viel Glas. Innen und aussen durchdringen sich im Centre Le Corbusier in mannigfaltiger Art. Bilder: Manuel Pestalozzi

Der Jahr für Jahr wiederkehrende World Interiors Day will das Potenzial und die Verdienste der Innenarchitektur ins Rampenlicht rücken. Das kann man grundsätzlich auf zwei Arten tun: Entweder zeigt man der Allgemeinheit besonders gut und vorbildlich ausgestattete Räume. Oder man präsentiert in einem anmutigen Ausstellungsambiente das Angebot, mit dem sich die «blosse Architektur» vervollständigen lässt.
 
Im Centre Le Corbusier geht beides; es ist ein vollwertiges Haus und Präsentationsfläche zugleich. Wenn man so will, steht hinter der Seeuferpromenade beim Zürichhorn der Urahn der heutigen Brand Stores, Markenshops und «Epizentren», in denen trendige Firmen ihrer Trendigkeit einen angemessenen Rahmen geben. Jawohl, Le Corbusier ist auch eine Produktelinie. Heidi Weber, die den Pavillon in den 1960er Jahren beim Architekten und den lokalen Behörden durchboxte, ist im Besitz von Vermarktungsrechten für Möbel und graphisch/textiles Design des Meisters. Hinter der Idee stand somit auch eine innenarchitektonische Mission. Dafür ehrte die Vereinigung Schweizer Innenarchitekten/Architektinnen VSI.ASAI Heidi Weber am World Interiors Day.

Interieur an der frischen Luft. Le Corbusier dachte 1965 an die Sicht auf den See.

Das posthum vollendete Werk ist bis heute in Reinkultur erhalten. Beinahe alles am Centre Le Corbusier ist «original». Seit seiner Fertigstellung 1967, rund zwei Jahre nach Le Corbusiers Tod, gab es nie eine umfassende Sanierung. Das Gebäude hat sich bewundernswert gut gehalten – selbst der Beton des in den Parkraum ausgreifenden Rampenkörpers wirkt erstaunlich frisch. Dies mag neben der guten Qualität der Materialien und der Verarbeitung einerseits der leicht vom Passantenstrom abgerückten Lage geschuldet sein und der klugen Aussenraumgestaltung, die mit sanften Rasenhügeln bei der Zugangsseite und mit niedrigem Buschwerk hin zum See einen Cordon sanitaire schaffen. Andererseits war das «Centre» nie gewaltigen Besucherströmen ausgesetzt; seit seiner Fertigstellung lag es in einem Dornröschenschlaf mit sporadischen, kurzen Wachphasen. Die Beschwerden über eine mangelnde Zugänglichkeit sind Legende. Im vergangenen Jahr ging das Gebäude an die Stadt Zürich über. Sie sorgt während den Sommermonaten für regelmässige Öffnungszeiten.
 
Die angesichts des exponierten Standorts überraschende Widerstandskraft der Konstruktion und die fast völlige Absenz von offen sichtbaren Verwitterungserscheinungen lassen die Architektur und mit ihr die Innenarchitektur zeitlos und modern erscheinen. Der World Interiors Day gab dem Publikum Gelegenheit, darüber nachzudenken, welche Vorbildfunktion dieses gebaute Vermächtnis Le Corbusiers für Innenarchitektinnen und Architekten heute einnehmen kann.

Der Übergang von innen nach aussen ist fliessend und lässt sich dosieren.

Bekanntlich jährt sich der Todestag von Le Corbusier heuer zum fünfzigsten Mal. Das runde Jubiläum weckte erneut das Interesse am begnadeten Selbstvermarkter, vor allem beschäftigt die Frage, ob er denn mit Hitler ins Bett gestiegen wäre, hätte er die Gelegenheit dazu gehabt. Die Diskussion, ob seine Affinität zum Faschismus die Aufmerksamkeit verdient, die sie derzeit erhält, sollte nicht ablenken von der gestalterischen und architektonischen Hinterlassenschaft, deren unbestrittener Wert sich jenseits der politischen Orientierung frei interpretieren lässt.
 
Wie in anderen Publikationen jüngst ausführlich dargelegt, nimmt das Centre Le Corbusier verschiedene Themen auf, welche den Architekten seit dem frühen 20. Jahrhundert beschäftigten. Dies gilt auch für die Innenarchitektur, also Einbauten und bewegliches Mobiliar. Beide treten diskret in Erscheinung und heben sich von den Raumoberflächen deutlich ab. Der Grundeindruck, der sich im «Inneren» ergibt, scheint den Wunsch zu widerspiegeln, nichts zu verschleiern oder zu verwischen. Jede Kante, jeder Gegenstand, jedes Element, ja selbst jede der rund 30'000 Schrauben, welche die Stahlkonstruktion zusammenhalten, treten als autonomes Objekt und Bestandteil des Interieurs in Erscheinung. Vorhänge gibt es keine, einziger Sonnenschutz ist das gefaltete und geschweisste Blechdach, unter der die modulartige, nach Modulor-Massen dimensionierte Stahlrahmenkonstruktion versammelt ist.

Man könnte grillieren. Die Küche ist funktional und reinigungsfreundlich.

Geplant wurde das Gebäude als Wohn- und Atelierhaus. Während der Wohnteil als zweigeschossiges Raumkontinuum über die angebaute Rampe erschlossen ist, verfügt das nahtlos anschliessende, leicht zurückversetzte Atelier über einen doppelgeschossigen Bereich und eine zentrale Betontreppe, die direkt auf die Terrasse unter dem Dach führt. Dieser «innere Aussenraum» ist auch über die Rampe zugänglich. Dadurch ergibt sich eine ereignisreiche promenade architecturale.
 
Im zweigeschossigen Atelierbereich hängen Werke von Le Corbusier, unter anderem ein grosser Wandteppich. Dieser erinnert daran, dass der Architekt den modernen Menschen als Nomaden betrachtete, der sein nur temporär bewohntes Heim individuell bespielt – und den Wandbehang bei der Weiterreise zusammenrollt und mitnimmt. Im Zusammenhang mit der Ungebundenheit des modernen Menschen bleibt Le Corbusiers Vermächtnis gerade für Innenarchitektinnen und Innenarchitekten hochaktuell. Räume müssen den persönlichen Touch ihrer Nutzerinnen und Nutzer empfangen können. Das Interieur sollte daher eine grosse Handlungs- und Bewegungsfreiheit gewähren.

Der Wandbehang ist schnell zusammengerollt und abtransportiert. Er gemahnt an die Rastlosigkeit des modernen Nomaden.

Gemäss dieser Maxime reduziert das Selbstbestimmungsrecht der Nutzerinnen und Nutzer die Innenarchitektur auf gezielte Eingriffe. Beim Centre Le Corbusier hat sie gewissermassen eine «Nischenfunktion». Das Entree, die Inselkochstelle und die Arbeitsecke auf der Galerie des Atelierteils sind mit Eichen-Massivholz-Einbauten klar definiert, auch ein Eichensperrholz-Trennelement zum Atelierraum, das eine Öffnung als Stellfläche für eine kleinere Skulptur oder ein Gefäss aufweist, kann als raumhaltige Innenarchitektur gelten. Ansonsten bestimmt die Wahl der Oberflächen den Raumcharakter. Farbe kommt ziemlich sparsam zum Einsatz. Die frei verlaufenden Leitungen wurden rot (Warmwasser), blau (Kaltwasser) und gelb (elektrisch) gestrichen, vereinzelte Oberflächen stimmen in den Farbkanon ein. Auch die emaillierten Fassadenpaneele bestimmen durch die grossen Fenster hindurch den Charakter der Innenräume mit.
 
Beim gewährten Spielraum drängt sich kein bestimmtes bewegliches Mobiliar auf – es muss nicht unbedingt von Le Corbusier stammen, wie die Stahlrohrmodelle, die in diesem Gebäude allerdings wie Ausstellungsgut behandelt werden, oder die beim Meister so beliebten, in der Höhe modifizierten Bugholzstühle von Thonet. Im Grunde genommen würde man sich wünschen, dass das Mobiliar des Centre von Zeit zu Zeit ausgewechselt und neu arrangiert wird. Kaum ein Gebäude eignet sich besser als dieses um zu zeigen, dass Innenarchitektur wandelbar ist und in jeder Generation die Lust zur Improvisation neu wecken sollte.

Man sieht des dem Gebäude nicht an, doch es leidet an einem Sanierungsstau. Der emeritierte ETH-Professor und Architekt Arthur Rüegg arbeitet derzeit an einer Machbarkeitsstudie.

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