Ein Akt des Widerstandes / gefeiert

Inge Beckel
1. September 2011
Burg Belfort, Brienz (GR) (Bild: wikipedia.org)

«Ein Gespenst geht um in der Schweiz. Es ist das Gespenst der verödeten, menschenleeren Bergregionen, die den Launen von Wind und Wetter sowie wilden Tieren und von Kobolden, Wichtelmännern und anderen Dämonen ausgesetzt sind. Wir stellen fest, dass es die Menschen in den Metropolitanregionen sind, die diesen Spuk verursachen, beanspruchen sie (oder ihre Minister, die längst vergessen haben, dass Minister Diener heisst) doch für sich, nur sie allein könnten im internationalen Standortwettbewerb erfolgreich sein.» So lauten die ersten Zeilen des Manifests Alea jacta est des Fürstentums Belfort.

Fürstentum Belfort? Nun, dieses liegt in Mittelbünden, das Schloss mit Namen Belfort gehört zur Gemeinde Brienz, das Restaurant Belfort zu Alvaneu. Das Fürstentum wurde 2007 gegründet, es nennt sich das jüngste und kleinste Fürstentum der Welt und versteht sich sinngemäss als mögliche Antwort auf Etiketten wie «Brache» oder «potenzialarmer Raum». Am 30. August wird jeweils Staatsfeiertag begangen, entsprechend wurde am vergangenen Dienstag in Alvaneu der fünfte gefeiert. Hierzu sind zahlreiche Gäste eingeladen worden, die an einem Staatsakt mit Bollerschüssen (!) teilnehmen durften, auch Essen und Musik gehörten selbstverständlich zum Anlass.

Doch galt der Abend nicht nur dem Vergnügen, waren doch vier hochkarätige Referenten geladen worden, so Thomas Egger von der Arbeitsgemeinschaft für die Berggebiete, Architekt Gion A. Caminada aus Vrin, Benedikt Weibel, ehemaliger Chef SBB und heute Professor an der Uni Bern, sowie Pierre-Alain Rumley, zuvor beim ARE in Bern und nunmehr Professor in Neuchâtel. Was hatten die vier Referenten den «Belfortern» und ihren Gästen zu sagen?

Kanzleidirektor Thomas Kollegger zum Jahresrückblick (Bild: Christof Kübler)

Thomas Egger, als Walliser selbst ein Vertreter eines so genannt potenzialarmen oder strukturschwachen Raums, nannte die Aktion der Verwantwortlichen des Fürstenatums Belfort als vorbildlich, und zwar ganz wörtlich. Es täte Not, so Egger, den Bildern der «strukturschwachen», potenzialarmen Regionen starke neue Bilder entgegenzusetzen – warum also nicht ein Fürstentum? Denn wohlgemerkt, Bezeichnungen oder Etiketten wie strukturschwach, potenzialarm oder das Wort – und dazugehörige Bild – der Brache, das seien alles Kreationen und damit Bilder von Städtern und Agglomeriten, nicht von den Betroffenen selbst. Er stelle eine Diskrepanz zwischen der Aussensicht auf diese Gebiete und der Innensicht fest. Während besonders für die Agglomeriten die Berggebiete primär Natur- und Erholungsräume oder aber Sportgelände seien, alles Orte, wo jene ihre Freizeit verbrächten, sind sie für die dort lebenden Menschen Wohn- und Arbeitsräume, also versehen mit allen zum Leben notwendigen Infrastrukturen – und damit keinesfalls leer. Letztlich finden sich international erfolgreiche Firmen wie die Ems Chemie, die Visapor sowie etwa IT-Unternehmen in just diesen Regionen.

Gion A. Caminada meinte einmal, vielleicht sei es die relative Ruhe und damit die im Verhältnis zu einer Metropolitanregion weniger zahlreichen Bewegungen im öffentlichen Raum, die den Städtern den Eindruck von Leere und Potenzialarmut vermittelten. Doch auch in den weniger dicht besiedelten Regionen werde gearbeitet und gelebt, zur Schule gegangen und werden Wege und Plätze begangen – nur sei die Dichte an Bewegungen geringer. In seinem Inputreferat in Alvaneu sprach er denn davon, dass weniger Aktivitäten auch in Statistiken zu einem geringeren Niederschlag führen, was dann wohl Begriffe wie potenzialarm oder strukturschwach generiert. Doch ist es eine Frage der Perspektive, eine Frage der Interessen, wie man die (vermeintliche) Realität beschreibt. Zur Beschreibung von Realität jedenfalls gehören nicht allein Zahlen, sondern ebenso sinnliche Wahrnehmungen. Nur wenn wir uns unsere Umwelt auch über Emotionen aneignen, sind wir letztlich autonom, so Caminada.

Primär auf seine Erfahrungen bei den SBB stützte Benedikt Weibel seine Gedanken und meinte, grundsätzlich gelte es, sich den Herausforderungen, die auf einen zukommen – und damit auf die Berggebiete –, zu stellen. Vor allem die drittgrösste Exportbranche der Schweiz, der Tourismus, biete da zahlreiche Möglichkeiten, wie ja schon seit Jahren. Durch die international einzigartig gute Erschliessung unseres Landes müssten wir jedoch inskünftig wohl vielmehr darauf achten, diese Gebiete nicht zu stark zu beanpruchen – was also keineswegs auf Potenzialarmut verweist. Eher gebe es mancherorts zu viele oder die falschen Investitionen.

Der Raumplaner Pierre-Alain Rumley schliesslich steht der Gründung eines neuen Fürstentums generell eher skeptisch gegenüber, sähe er doch lieber neun – allenfalls dreizehn – anstelle der heute 26 Kantone. Doch verstehe er diesen Akt eigentlich als einen Akt des Widerstands – gegen oft wenig durchdachte Ansichten und Absichten aus den Zentren der Metropolitanregionen, was er wiederum gut verstehen und damit unterstützen könne!

Vorgestelltes Projekt

EBP AG / Lichtarchitektur

Schulanlage Walka Zermatt

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