Eine kleine Lektion Architekturgeschichte

Inge Beckel
31. Mai 2012
Das homogene Gewebe der Altstadt von Chiwa,

Usbekistan gehört zu Zentralasien. Nach Auflösen der Sowjetunion wurde die Republik 1991 unabhängig. Auf einem Gebiet von knapp 450 000 Quadratkilometern leben heute rund 30 Millionen Einwohner und Einwohnerinnen; Hauptstadt ist Taschkent.

Ein Gewebe von zweistöckigen Lehmbauten, die Dächer flach eingedeckt. So präsentieren sich grundsätzlich die Wohnviertel in der Altstadt Chiwas im Südwesten Usbekistans. Im Erdgeschoss der Wohnbauten finden sich oft Werkstätten von Handwerksbetrieben mit Läden – Holzschnitzer, Weberinnen, Strickerinnen … Die Stadt liegt an der Grenze zu Turkmenistan und kennt hohe Temperaturschwankungen: So klettert das Thermometer in den Sommermonaten zuweilen auf 60° C, während es im Winter bis minus 35° C fällt.

durchbrochen von ornamentierten Minaretten
und den Kuppeln der Moscheen und Medressen. (alle Bilder: ib)

Das Siedlungsgewebe erscheint äusserst homogen, sind Ziegel, Backsteine und verputzte Lehmwände doch in demselben erdfarbenem Braunton gehalten. Dieser einheitliche Rhythmus aber wird regelmässig gebrochen: Farblich durch mehrheitlich türkis wirkende, städtebaulich durch ihre Höhe und ihr Volumen Aufmerksamkeit einfordernde und funktional durch ihre besondere Bedeutung als Sakral- oder Bildungsstätten ausgezeichnete Bauten. Doch werden in der Regel nicht die gesamten Fassaden der speziell markierten Bauten und Ensembles mit Keramikkacheln geschmückt, sondern primär Kuppeln, Türme und Eingangsfassaden, also Repräsentationsfassaden. Profane oder kommerzielle Ensembles wie die Basars demgegenüber weisen wohl Kuppeln zur Belichtung der gedeckten Strassenzüge mit ihren Läden auf, bleiben farblich aber Teil des erdfarbenen Siedlungsteppichs.

Rund 600 Kilometer weiter gegen Südwesten liegt Buchara, wobei die Fahrt zwischen Chiwa und Buchara ein besonderes Erlebnis darstellt. Denn während die Architektur, wie man sieht, besonders die historische, herausragend ist und keinerlei Vergleich zu Mitteleuropa scheuen muss, entspricht der Tief-, also der Strassenbau, nicht dem mitteleuropäischen Standard …

Medressen in Buchara.
Medressen sind ursprünglich Koranschulen; landesweit sind noch einige in Betrieb, zahlreiche wurden umgenutzt.
Oft beherbergen sie heute Handwerksbetriebe, Läden oder auch Restaurants (oben). Die Kuppeln der Basars werden roh belassen.

Samarkand befindet sich nochmals weiter westlich und gilt als eine der Perlen der alten Seidenstrasse. Die Stadt zählt heute rund 350 000 Einwohnende, betreibt international Handel und hat verschiedene Universitäten. Der Registanplatz mit der zentralen Moschee und zwei flankierenden Medressen gehört zu den Inkunabeln der traditionellen usbekischen Architektur: Drei gigantische Eingangsportale spannen den eigentlichen Platz als Freiraum im Siedlunsgewebe auf, wobei diese Art Bausteine zentrale Konstanten im zentralasiatisch geprägten Städtebau darstellen. Als Wiederholung von immer gleichen oder jedenfalls vergleichbaren, in Höhe und Dimension den Stadtkörper überragenden Scheiben spannen stets derlei Portale grossflächige, öffentliche Räume in den sie umgebenden, dichten Siedlungskörpern auf. Meist werden sie von Minaretten und Kuppeln flankiert respektive ergänzt.

Der Registanplatz in Samarkand ist eines der Herzstücke traditioneller usbekischer Architektur.
Im Innern der Medressen und Moscheen finden sich offene Höfe,wo meditiert,
aber auch gehandelt, flaniert und debattiert wird (hier Buchara).

Steht man nun als Mensch auf derlei Plätzen, fühlt man sich aber nicht erdrückt von den monumentalen Bauten ringsum, was mitunter daran liegt, dass neben der städtebaulichen, der Makro-Ebene, gleichzeitig eine Mikro-Ebene bespielt wird, nämlich jene der feingliedrigen Ornamente. So kann man auf Augenhöhe unzähliche Muster bewundern, folgt den sich sinngemäss ins Unendliche fortsetzenden Linien und ihren Verflechtungen, liest – ist man des Arabischen kundig – Suren und andere Inschriften, bestaunt die Fertigkeiten von Schnitzereien an Holzsäulen. Diese kleinmassstäblichen Schönheiten strahlen Nähe aus, sie haben etwas Erreichbares, Vertrautes, ja zuweilen fast Gewöhnliches – so beispielsweise auf Möbeln oder den Kleidern der Frauen – und bringen damit die Erhabenheit der grossmassstäblichen Architektur in den Lebensalltag der Menschen mit seinen Kleinigkeiten oder eben Kleinteiligkeiten zurück.

Ornamente und Muster bestimmen nicht nur sakrale und anders ausgezeichnete Bauten mit ihren Fassaden, sondern ebenso Holzsäulen und Möbel wie die beliebten «Vierbeiner»,
Teppiche,
und schliesslich auch traditionelle Kleider, wie sie viele Frauen noch heute tragen.

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