Farbe für eine Versicherung

Karin Frei Rappenecker
10. Dezember 2014
Aufgeweckter Rosenscheitel, 2014, Installation von Pipilotti Rist. 24500 facettierte Kunststoffperlen in 34 Farben für das Treppenhaus am Hauptsitz von Nationale Suisse, Basel. Bild: Gerry Nitsch

Partner Kunst & Architektur: Implenia

Wer jemals in einer Kirche oder Moschee in farbiges Licht getaucht wurde, weil gerade die Sonne durch die glasbemalten Fenster schien, der weiss um die mystische, psychologische und kraftspendende Wirkung dieses Phänomens. Licht tut gut – Farblicht noch besser.
 
Nicht umsonst werden Farben eingesetzt, um Stimmung und Verhalten von Menschen zu beeinflussen, wirken sie sich doch positiv auf das Nerven- und Immunsystem, den Blutdruck und die Herzfrequenz aus. Lichtdesigner verwenden ihr Wissen für die Gestaltung von Privaträumen genauso wie für die Einrichtung von Supermärkten oder die stimmungsvolle Inszenierung von Veranstaltungen. Auch die Kunst macht sich dieses Wissen gerne zunutze.

Aufgeweckter Rosenscheitel, 2014, Installation von Pipilotti Rist. 24500 facettierte Kunststoffperlen in 34 Farben für das Treppenhaus am Hauptsitz von Nationale Suisse, Basel. Bild: Gerry Nitsch

Ein Farbspektakel für die Sinne ist die neue Installation von Pipilotti Rist, die am Montag im umgebauten Hauptsitz der «Nationale Suisse» in Basel eingeweiht wurde. Sie gehört zu drei Werken, genannt «3 Rooms – 3 Artists», welche die kunstaffine Versicherungsgesellschaft in Auftrag gegeben hat, und taucht das Treppenhaus in farbiges Licht. Ein 19 Meter hoher Vorhang, den die Künstlerin «Aufgeweckter Rosenscheitel» nennt, zieht sich – eben wie ein Scheitel – über die gesamte sechsstöckige Fensterfront des Treppenhauses, das den Altbau der Nationale Suisse in den Umbau von Burckhardt+Partner überleitet. 24'500 extra für die Installation entwickelte, transparente und facettierte Kugeln aus Polykarbonat bilden eine Art überdimensioniertes Dia, das wunderschöne Farbspiele an die Treppenhauswände projiziert. Bei Sonnenlicht sorgt der grösste Projektor, wie Pipilotti die Sonne nennt, für Licht und damit auch für die grossartigen Farbprojektionen. Nur wenn diese nicht scheint, also auch nachts, stellt die Lichtsteuerung sicher, dass die Kugeln nach innen wie aussen farbig leuchten.

Aufgeweckter Rosenscheitel, 2014, Installation von Pipilotti Rist. 24500 facettierte Kunststoffperlen in 34 Farben für das Treppenhaus am Hauptsitz von Nationale Suisse, Basel. Bild: Gerry Nitsch

Kugeln in 34 verschiedenen Farben sind an Drahtseile geklemmt, um im gerasterten Verbund Stills von Rosen wiederzugeben, die durch Berührung des Vorhangs wieder in Bewegung versetzt werden. Die einzelnen Kugeln wirken wie analoge Pixel: grob im Raster, wie aus einer Zeit, als unsere Gehirne eine grosse Leistung vollbringen mussten, um bewegte Bilder scharf  zu sehen. Die Zeiten haben sich jedoch geändert. Die HD-Technologie ermöglicht es unseren Gehirnen, sich anderen Dingen als der automatischen Vervollständigung von Unzulänglichem zu widmen.
 
Kunst als Förderin der Kommunikationskultur?
«Aufgeweckter Rosenscheitel» ist einerseits eine Hommage an die drastisch verbesserten Auflösungen der visuellen Medien der letzten Jahre, andererseits aber auch ein Angebot an die BetrachterInnen, im Farbrausch und zwischen den «Pixeln» ihre eigenen Fantasiebilder zu finden. Aufgeweckt werden eigentlich wir, die BesucherInnen und Strassen-Flaneure: dazu aufgerufen, unsere eigenen inneren Bilder zu entdecken und die Fantasie zu beflügeln. Unter der «Farbdusche» stehend, wie das Werk im Arbeitstitel hiess, lässt sich das Kraftspendende des Lichts und der Farbe erleben. Der Farbenrausch «erfrischt unsere Augäpfel und Gedanken», wie die Künstlerin es formuliert. Wir wähnen uns wie Alice im Wunderland, wo Vorhänge so gross werden können wie Häuser und einem beim Durchschreiten die Schultern sanft streicheln.
 
Pipilotti, die um die subkutane, auch subversive Macht des Bildes weiss und sie anarchistisch auch nutzt, schenkt den MitarbeiterInnen der «Nationale Suisse» mit diesem Werk einen Ort, in dem sich die Leute wohl fühlen sollen, wo sie «prickelnde Beruhigung» und «zuversichtliches Aufrütteln» erleben sollen – für sich allein, aber auch zusammen mit anderen. Die Förderung der internen Kommunikationskultur mag zum Wunschkatalog eines jeden Unternehmens gehören, und die Kunst ist nicht primär dazu da, solche Wünsche zu erfüllen. Die persönliche Philosophie einer Künstlerin und die Vorstellungen eines Auftraggebers könnten sich aber nicht besser treffen, wie der vorliegende Fall zeigt.
 
Wer mit dem Werk der weltberühmten Videokünstlerin vertraut ist, mag erstaunen, dass sie keine Videoinstallation vorgeschlagen hat. Die Gründe dafür sind jedoch nachvollziehbar. In einem Arbeitsumfeld gibt es punktuelle Konzentration des Besuchers, wie dies für vielschichtige, farb-, zeit- und oft geräuschintensive Videoinstallationen im Museum erforderlich ist. Kunst für den architektonischen Kontext fragt jedoch nach einer gewissen Portion Beiläufigkeit, Kunst im mehrstöckigen Treppenhaus im Speziellen nach einer grosszügigen Geste.

RLF, 2014, Deckenskulptur von Daniel Robert Hunziker für das Personalrestaurant der Nationale Suisse, Basel. Bild: Mark Niedermann

Das Treppenhaus ist ein farbiger Transitraum, der vom Arbeitsort zur Verpflegungsstätte führt; sozusagen von der halbprivaten in die öffentlichere Zone des Unternehmens. Dienen die Facetten von «Aufgeweckter Rosenscheitel» dem Vervielfachen der Farbprojektionen und der Intensivierung der Farbwahrnehmung, so lassen diejenigen bei Daniel Robert Hunzikers Deckenskulptur im Personalrestaurant unterschiedliche Lichtverhältnisse sichtbar werden. Die in der Längsachse geknickte und nach aussen hin steigende weisse Decke ist mit zahlreichen dreieckigen Pyramiden kristallähnlich gefaltet. Unterschiedliche Wetterverhältnisse, sowie Jahres- und Tageszeiten beeinflussen die Licht- und Schattenspiele im gefalteten Deckenkosmos. Auch das in Zickzacklinie unter die Längsachse gehängte Lichtband unterstreicht die Dynamik dieses Raums, der auf den ersten Blick dem Auge Entspannung verspricht.

ONE FLEW EAST AND ONE FLEW WEST aus der Serie JOGGELI, 2014, Wandmalerei für den Verwaltungsratssaal Nationale Suisse, Basel. Bild: Mark Niedermann

Auf der anderen Seite des Personalrestaurants, ebenfalls im 5. Stock, befindet sich der Verwaltungsratssaal mit angrenzenden Nebenräumen. Sind bei Pipilotti Rist die facettierten Kugeln aufgereiht, so sind es bei Hans Danusers «Joggeli» die Worte. Abzählreime sind spielerische Modelle der Entscheidungsfindung, mit denen sich der Künstler seit vielen Jahren auseinandersetzt. Danuser transformiert sie in Schriftbilder auf unifarbenem Grund und taucht die Räume damit in eine jeweils eigene Farbstimmung. Unterschiedliche Farben strukturieren die Worte und Satzteile der in verschiedenen Sprachen (Bergeller Dialekt, Englisch und Schweizerdeutsch) zitierten Reime. Pikant im Firmenkontext ist der Kinderreim «Joggeli söll ga Birli schüttle, Birli wei nid falle», befasst sich dieser doch mit der Arbeitsverweigerung.

«3 Rooms – 3 Artists» ist für die «Nationale Suisse» das erste Kunstprojekt im architektonischen Kontext. Es erweist sich als ein überaus gelungenes Beispiel für grosse Professionalität in der Zusammenarbeit von Kunst, Architektur und Auftraggeber, das Schule machen sollte. Ein Glücksfall, der nicht dem Zufall geschuldet ist: Die Kollaboration fand auf einem Boden von 70 Jahren Kunstauseinandersetzung statt: Seit 1943 sammelt die «Nationale Suisse» Schweizer Kunst, seit 2004 vergibt sie jährlich den Förderpreis für junge Kunst. Diese Erfahrung trug dazu bei, dass der Auftraggeber beste Rahmenbedingungen für die Künstler setzte. Vor allem Rists und Hunzikers Werke, die sich kongenial in die Architektur einfügen, ohne ihre Eigenständigkeit zu verlieren, wären ohne den frühen Einbezug der Künstler schon während der architektonischen Planungsphase nicht denkbar gewesen. So aber können sich Rists Kunststoffpixel innerhalb des Umbaus zu einem berauschenden Farbfeuerwerk entfalten, und Hunzikers kristalline Decke kann seine visuelle Präsenz mit dem wechselnden Sonnenstand verändern - und dies mitten in der Alltagsroutine, was gewiss nicht alltäglich ist für einen Versicherungskonzern.

ONE FLEW EAST AND ONE FLEW WEST aus der Serie JOGGELI, 2014, Wandmalerei für den Verwaltungsratssaal Nationale Suisse, Basel: Bild Victor Koliban

Informationen Architektur
Bauherrschaft: Nationale Suisse, Basel
Architektur: Burckhardt+Partner, Basel

Bauvolumen: 23'155 m3 SIA 416
Gesamtfläche: 7'219 m2 (GF)

 
Informationen Kunst
Auftraggeber: Nationale Suisse, Basel
Auftragsart: Wettbewerb und auf Einladung
KünstlerInnen: Hans Danuser; Daniel Robert Hunziker; Pipilotti Rist
Titel: Joggeli, 2014; RLF, 2014; Aufgeweckter Rosenscheitel, 2014
Dimensionen: adaptiert an die architektonische Situation

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