Lego und die Welt – Gesteckte Visionen

Manuel Pestalozzi
20. August 2015
250000 Steinchen und fünf Wochen Bauzeit. Modell des Lego Project der Bjarke Ingels Group für die Storefront for Art and Architecture in New York. Bild: Bjarke Ingels Group

Lego ist eine Marke und schreibt sich offiziell LEGO®. Die Wortkreation soll eine Kurzform sein des dänischen Wunsches oder Befehls leg godt, was so viel heisst wie «spiel gut». Die farbigen Steinchen (bis in die 1960er-Jahre Celluloseacetat, seither aus Acrylnitril-Butadien-Styrol-Copolymerisat (ABS)) gehören zu den Boomjahren der Nachkriegszeit wie der VW Käfer und Büchsenravioli. Sie erinnern bis heute daran, dass Dänisches Design damals in zahlreichen Lebensbereichen einen weltweiten Siegeszug antrat.
 
Plastik galt damals als modern und aufregend, Lego nutzte die Vorzüge des synthetischen Stoffes, insbesondere seine Leichtigkeit, seine Geschmeidigkeit und die Möglichkeit der freien Farbgebung. Der Clou des Systems war und ist, dass die modularen Steine gleichzeitig auch die kraftschlüssige Verbindung sind. Die Modulmasse sind seit der Einführung im Jahr 1949 die selben. Einen Ur-Stein kann man bis heute einem Legosteinhaufen bedenkenlos beimischen, auch wenn die ursprünglich völlig hohle Unterseite ab den späten 1950er-Jahren zwecks Stabilisierung mit hohlen Röhrchen ergänzt wurde.

Die Grundmasse der Modulsteine blieben seit der Einführung 1947 stets die selben. Bild: Wikimedia Commons

Das schnelle Stecken und Entstecken machte das modulare Plastikstein-System auch für planende Architektinnen und Architekten interessant. Das entging natürlich auch dem Lego-Konzern nicht. In den 1960er-Jahren brachte er das System Modulex auf den Markt. Mit ihrem 5 mm-Raster sind die Modulex-Steine etwa um ein Drittel kleiner als die Lego-Systemsteine und mit ihnen nicht kompatibel. Aus dem Spiel wurde etwas Ernsthafteres, bei den Massstabsebenen war eine einfachere Umrechnung möglich.
 
Planen mit Modulex erwies sich nicht als Dauerrenner, die Produktion der Modellsteinchen wurde in den 1970er-Jahren aufgegeben. Die Firma Modulex gibt es aber noch immer: Auf Basis der Lego-Idee befasst sie sich mit Signaletik-Themen, Namenstafeln, mit Belichtungs- und Fassadenlösungen oder Shop-Einrichtungen.

Erproben der Machbarkeit am Steckmodell. Bild aus einem historischen Modulex-Katalog. Bild: www.vogtcom.de

In dem Masse, wie sich die ästhetische Wertschätzung von Plastik verminderte, machte sich Lego mit den 68er-Unruhen und der Erdölkrise in der Welt der gestaltenden Erwachsenen rar. Der Konzern fokussierte fortan auf die Bedürfnisse von Kindern. Er weitete sein Sortiment aus, auch um zusätzliche Modulsysteme wie Duplo, das grössere Stein-Dimensionen für kleinere Knirpse anbietet.
 
Eine zunehmende Dominanz gewann bei Lego die Nachbildung des Reellen oder des vorgegebenen Phantastischen im Modell. Dieser anti-experimentelle aber populäre Aspekt des Systems spielte für den Konzern in ökonomischer Hinsicht immer eine wichtige Rolle und wurde ab 1968 in den Vergnügungsparks Legoland zelebriert. Dort liessen sich reelle Bauwerke und sogar ganze historische Stadtteile in verpixelten Miniaturen bewundern. Lego nahm sich Walt Disney auch als Beispiel bei der Vereinnahmung von Abenteuergeschichten aus der Welt des Films und der Literatur. Bauelemente und Figuren lassen Kinder eintauchen in genoppte Traumwelten. Fantasy wird zur Ballung von Plastiksteinchen, das Schaffen einer Kulisse erscheint wichtiger als ein überlegter Einsatz der Mittel.

Keine sichtbaren Noppen, viele Fugen. Nachbildung der Unité d’habitation in Lego. Bild: No Starch Press

Über das Nachahmen fand Lego zur seriösen Architektur zurück. Wenn man schon ein Piratenschiff nachbauen kann, weshalb dann nicht auch Prairiehäuser von Frank Lloyd Wright? Bereits in den 1960er Jahren hatte das Unternehmen die kurzlebige Architektur-Linie Scale Model für einige Jahre im Programm, 2005 lancierte sie die Architecture-Serie. Diese bietet mehrere Dutzend Bausätze, mit denen sich spezifische Gebäude als Modell zusammenstecken lassen. Die Vorlagen sind ein interessanter Abriss der Architekturgeschichte. Sie enthalten klassische Bauten wie die Fontana di Trevi aber auch Ikonen der Moderne wie die Villa Savoie oder Falling Water.
 
Vom Nachahmen wird der Bogen gespannt zum selbständigen Kreieren. Zusammen mit bekannten Architekturbüros wie Sou Fujimoto Architects oder SOM hat Lego den Baukasten Architecture Studio entwickelt, der zu eigenen Kreationen animiert. Ein grosser Fan ist Tom Alphin aus den USA. Der Experience Program Manager bei Microsoft hat ein Lego-Architektur-Buch verfasst. Er konzentriert sich aber auf Miniaturmodelle bestehender Ikonen.

Tom Alphins Bauplan für das Lego-Lever House. Bild: No Starch Press

Die Lego-Modelle hatten schon immer ihre eigene Ästhetik. Plastiksteinchen sind nimmer Holz, Stahl oder Beton, die Konstruktionsweise der Modelle folgt stets der Lego-Logik, und die hat mit den Vorlagen in der Regel herzlich wenig zu tun. Faszinierend ist aber, dass Lego als Rekonstruktions-Medium die Ästhetik verschiedener Epochen auf eine gemeinsame Ebene hinabbricht. Auf eigenartige Weise ist ein Nebeneinander ganz unterschiedlicher Stile von unverhoffter Anmut und animiert zu verwegenen Kombinationsexeperimenten. Ein stärkeres Argument für eine universelle Modularität der Bauelemente kann es eigentlich gar nicht geben.
 
In den letzten Jahren haben sich auch professionelle Architektinnen und Architekten wieder stärker mit Lego befasst. Die Bjarke Ingels Group realisiert derzeit für des Unternehmen am Firmenstandort Billund auf Jütland ein Lego House, dessen konstruktives System von den Bausteinen inspiriert sein soll - was wiederum eine Nachbildung ist, diesmal «in die andere Richtung», und somit eher eine ästhetisierende Interpretation des Lego-Prinzips als eine direkte Anwendung.

Ästhetisierende Replika des Lego-Prinzips. Lego House der Bjarke Ingels Group in Billund, Dänemark, derzeit im Bau. Bild: Lego Group

Die neue Faszination für Lego bereichert die Architekturdebatte. Zwar ist es bisher nicht gelungen, die Idee des Tragelements, das gleichzeitig als Verbindung dient, auf eine derart hohe Massstabsebene zu vergrössern, dass sie für das reelle Bauen taugt. Doch es erscheint wichtig, dass die Branche diesbezüglich am Ball bleibt.
 
Das Konzept des Steckens und Entsteckens dürfte für künftige Grossprojekte an Attraktivität gewinnen. Vermehrt wird nach grossen Raumbehältnissen verlangt, die man flexibel bespielen oder erweitern möchte. Man denke an Büro- und Gewerbebauten, aber insbesondere an Komplexe für das Gesundheitswesen. Architektur im herkömmlichen Sinn spielt bei diesen Projekten oft keine wirkliche Rolle mehr. Die Möglichkeiten eines An- und Aufsteckens, eines Umsteckens vielleicht, könnten unter Umständen attraktiven Entwicklungs- und Bewirtschaftungsstrategien den Weg bereiten.

Steckverbindung zwischen Stütze und Unterzug im House of Natural Resources der ETH Zürich auf dem Hönggerberg – gemäss Projektleiter Prof. Andrea Frangi «wie Lego». Bild: ETH Zürich/Marco Carocari

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