Lustvolles Zitieren

Juho Nyberg
1. Mai 2014

Seit der Eröffnung der Westumfahrung der Stadt Zürich hat sich das Quartier rund um die Weststrasse stark gewandelt. Ehemals mehrspurig befahrene Achsen haben sich in leise Quartierstrassen gewandelt, alte Erinnerungen an Schleichwege entpuppen sich rasch als Irrwege. Derart stecken geblieben, bietet sich jedoch Gelegenheit, das erfrischte Quartier wieder kennenzulernen. Die neu gewonnene Freiheit vom Verkehr manifestiert sich neben Baumreihen und Plätzen auch in aufgehübschten Fassaden und nicht zuletzt in Neubauten, die dem Strassenbild neue Akzente verleihen.

Kennen wir uns? Das Hohe Haus von Loeliger Strub wirkt wie ein alter Bekannter. (Bild: Andrea Helbling)

Vexierbild aus Gegenwart und Vergangenheit
Eine der bemerkenswertesten – und aufgrund seiner Grösse auch leicht zu bemerkenden – Bauten ist zweifelsfrei das Hohe Haus West der Zürcher Büros Loeliger Strub Architektur. Bereits vor seiner Eröffnung hat es medial viel Aufmerksamkeit erfahren und wurde auch auf dieser Plattform als Bau der Woche vorgestellt. Das Hohe Haus präsentiert sich als Vexierbild aus Gegenwart und Vergangenheit: Einerseits ist es augenscheinlich ein Neubau, andererseits wirkt es für eine erst so kurze Bekanntschaft schon seltsam vertraut. Die Erdgeschossfassade erinnert in Vielem an Fronten von Tearooms aus den 1950-60er Jahren: Feine Glasleisten fassen die Fensterflächen des Cafés und kontrastieren mit den blau gestrichenen Rahmen. Der Terrazzo als Fussboden des Cafés wirkt dazu ebenso selbstverständlich wie die von Luc Forster eigens für dieses Projekt gestalteten Türgriffe und Leuchten. Auch im Treppenhaus, den Wohnungen und dem allen Bewohnern zugänglichen Dachgarten oszilliert die Stimmung zwischen Gegenwart und Vergangenheit. Die Vertrautheit, die durch die geschickt – manchmal auch kokett – gesetzten Details mit Bezug zur eigenen, nicht zu weit zurückliegenden Vergangenheit (oder sollte man Jugend sagen?) ergänzt nur die zeitgemässe Architektur. Die alles umfassende Klammer bildet dabei die handwerklich ausgezeichnete Umsetzung.

Zitatesammlung: Lustvolle Vielfalt und Liebe zum Detail prägen das Erscheinungsbild des Hohen Hauses. (Collage: Architekten)

Lustvolles Zitieren
Der Anspruch ans Handwerk fängt bei Loeliger Strub Architektur allerdings schon weit vor dem eigentlichen Bauen an. Beim Betreten ihres Büros findet man sich sogleich in einem Panoptikum von Modellen wieder, die in allen möglichen Massstäben sich um die Klärung städtebaulicher Einordnung ebenso bemühen wie um das Finden des richtigen Treppengeländers oder eines Türgriffes. Im Gespräch mit den beiden Architekten wird denn auch bald auf dieses Modell gezeigt, bald jenes hervorgeholt, um den offensichtlich lustvollen Umgang mit der Architektur und dem Zitieren derselben immer anhand eines konkreten Beispiels zu illustrieren. Entgegen anderen Vertretern der Architektenzunft gehen Marc Loeliger und Barbara Strub sehr unverkrampft mit Zitaten um. Verschiedene Referenzen aus der Vergangenheit werden auf ihr Potential für die gewollte Stimmung geprüft und eingesetzt. Auf undogmatische Art schaffen die Architekten ein für das jeweilige Projekt passendes Stimmungsbild, bei dem ohne weiteres auch verschiedene «Maltechniken» eingesetzt werden dürfen. Es geht nicht um ein Statement, wie Marc Loeliger es auf den Punkt bringt, sondern um die Schaffung von Atmosphären, die für die Architekten ein Potential haben.

Hollywood Hills? No, it's Uri. (Bild: Architekten)

Dass ihre Arbeit dabei keine Nabelschau ist, sondern durchaus auf den vielzitierten Kontext eingeht, zeigt sich etwa auch am «Holzhaus Stiege», dem Ersatzbau für einen Stall im Kanton Uri. Anstelle eines banalen Ersatzbaus wurde das architektonische Vokabular der nahen Umgebung geprüft und interpretiert. Neben der offensichtlichen Wesensverwandtschaft der Volumetrien wurden auch der steinerne Sockel und der darauf liegende Holzbau als Referenzen verwendet. Die Konstruktion des Holzbaus orientiert sich am traditionellen Strickbau, die durch Weglassen einzelner Lagen luftig wird und sich so ausgezeichnet für die Einfassung der Veranda eignet. So präsentiert sich das Holzhaus als gelungene, zeitgemässe Ergänzung eines Ensembles in ländlichem Umfeld. Doch darüber hinaus visionieren die Architekten eine Parallele zum berühmten Bild Julius Shulmans vom Koenig House (Case Study House #22) in den Hollywood Hills. Und tatsächlich: der abendliche Ausblick von der Veranda auf die fernen Lichter unten im Tal nimmt spielerisch Bezug auf zur bekannten Fotografie.

Handwerkskunst: Präzise Details an der Winkelriedstrasse wollen entdeckt werden. (Bild: Architekten)

«Es gibt nie den Punkt, an dem es passt.»
Um solche Bezüge und Ideen konsequent umzusetzen und erlebbar zu machen, haben Loeliger und Strub einen klaren Qualitätsanspruch, den sie sowohl in der Planung als auch in der Realisation verfolgen und durchsetzen. Trotz aktuellen Erfahrungen mit einem GU-Projekt (in Zusammenarbeit mit Adrian Streich erstellen sie beim Bahnhof Altstetten in Zürich eine grossmassstäbliche Überbauung) liegt ihr Ur-Interesse doch eher bei Projekten, die sie vom Anfang bis zum Schluss begleiten und mit entwickeln können. Eine Distanz zur Architektur wollen sie nicht zulassen. Selber Hand anlegen, das – etwas langsamere – Tempo bestimmen und den einen oder anderen spontanen Entscheid bei einem Baustellenbesuch noch fällen zu können sind für Barbara Strub und Marc Loeliger wichtige Kriterien, um einen Bau nach ihren Vorstellungen, ihrem Konzept und Verständnis entwickeln und ausführen zu können. Der Faden, entlang dessen sie sich durch ihre Projekte führen lassen, verdichtet sich im Verlauf der Zeit zu einem Knäuel. Er liesse sich wohl endlos aufwickeln. Daher besteht eine wichtige Qualität auch darin, ihn zur rechten Zeit loszulassen. Der Zeitpunkt ist allerdings nicht der, an dem es passt: «Es gibt nie den Punkt, an dem es passt.» sagt Marc Loeliger. Doch müssen Entscheide gefällt werden, auf die man nicht mehr zurückkommen kann. Dennoch versuchen die Architekten, den Bauablauf als Prozess zu erhalten, um wichtige, wenn auch kleine Anpassungen noch spontan machen zu können. Viele Dinge, wie etwa das Farbkonzept wollen sie direkt vor Ort erproben.

Veranden werden Teil des Innenraumes an der Winkelriedstrasse. (Bild: Roger Frei)

«Architektur ist kein Wegwerfartikel»
Sie trachten mehr nach der Tiefe als nach der Oberflächlichkeit der Architektur. Die omnipräsente Nachhaltigkeitsdebatte dürfte nach Meinung Barbara Strubs gerne auch vermehrt auf der Ebene des Wertes der Architektur geführt werden. Vertiefte Auseinandersetzung mit der Aufgabe und der Lösung derselben würden zu besseren Lösungen führen – nachhaltigeren eben. Dabei sollte eben auch für die schönen, kleinen Dinge Platz sein, die dem Bau erst die Kraft verleihen, die angestrebte Wirkung zu entfalten. Oder mit den Worten der Architektin: «Architektur ist kein Wegwerfartikel.»

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