Ein neues Kraftwerk für Zürich

Jenny Keller
5. Januar 2012
Bild: Hochparterre.ch

Hinter der beigebraunen Fassade, die sich nicht gross von der Umgebung und den Bauten aus den 1970er-Jahren abhebt, vermutet man nicht unbedingt einen Neubau. Tatsache ist aber, dass Ende Dezember 2011 die Siedlung «KraftWerk2» im Heizenholz am Waldrand von Zürich Höngg nach rund zwei Jahren Bauzeit den ersten Bewohnern übergeben wurde. Partizipation wird bei der Genossenschaft gross geschrieben und auch aktiv gelebt. Vor der Ausschreibung eines Studienauftrags – der 2008 von Adrian Streich Architekten gewonnen wurde – hat eine Gruppe von etwa 30 künftigen BewohnerInnen Wohnkonzepte und Raumprogramm erarbeitet. Zentrale Frage dieser Workshops war, welche Wohnformen sich besonders für ältere Menschen eignen, und wie man in einem Mehrgenerationenprojekt die Selbstständigkeit der Älteren möglichst lange aufrecht erhalten kann. Das zweite Kraftwerk richtet sich insbesondere an die Generation in der zweiten Lebenshälfte, die bereits wohngemeinschafterprobt ist und auch im Alter nicht von ihren Idealen und Überzeugungen abweichen will.

Zwischen 70 und 80 Personen werden dereinst im Heizenholz leben, sei es in herkömmlichen Wohngemeinschaften, konventionellen Klein- und Familienwohnungen oder in einer der zwei rund 320 Quadratmeter grossen Cluster-Wohnungen. Dieses Wohnungsmodell wurde in den Workshops als Antwort auf die gestellten Fragen entwickelt. Die Besonderheit ist, dass sich bis sieben Wohneinheiten zwischen 30 und 50 Quadratmetern mit kleiner Nasszelle und bescheidener Kochnische um einen weiträumigen Gemeinschaftsbereich mit grosser Küche und Bad gruppieren. Der Gemeinschaftsbereich wird direkt ohne Flur erschlossen und umfasst rund 130 Quadratmeter. Eine solche Cluster-Wohnung ist für sieben bis zehn Bewohner vorgesehen. Das unterschiedliche Wohnungsangebot wird ergänzt durch Büros, Ateliers, zumietbare Zimmer und einen Gemeinschaftsraum für Feste.

Plan: KraftWerk1 Der grundriss der Cluster-Wohnung. Braun eingefärbt sind die Gemeinschaftsräume.

Ein ehemaliges Kinder- und Jugendheim, bestehend aus zwei L-förmigen Gebäuden aus den frühen 1970er-Jahren, wurde von den Architekten mit einem mittleren Neubauteil verbunden, der den Bestand um drei Ebenen überragt. Dieser neue Kern ermöglicht eine hindernisfreie Erschliessung aller Wohnungen, sorgt für Erdbebensicherheit, nimmt die technische Ausstattung auf und liefert dem ganzen Komplex zusätzlich eine vorgelagerte Terrassenebene, die je durch Treppen von unten bis oben verbunden werden. Dank der Parallelerschliessung im Innern haben diese Veranden keine Fluchtwegfunktion und können frei möbliert werden. So soll die Vernetzung des Kraftwerks auch im Aussenraum gelebt und durch die Architektur unterstützt werden.

Das neuste Wohnexperiment in Höngg bildet selbst eine kleine Stadt, die einzelnen Kammern und die gemeinsame Wohnfläche formen bei den Cluster-Wohnungen innenliegende Wege und Plätze. Dennoch hat man das Gefühl, das Zusammenleben unter Gleichgesinnten scheint im «KraftWerk2» wichtiger zu sein als die Umgebung. Das Ende von Höngg befindet sich nicht mehr in der Stadt, ist aber auch nicht wirklich auf dem Land, und die Regensdorferstrasse ist stets gut befahren. Nur im sechsten Stock geniesst man die erhöhte Lage und hat eine Sicht weit über die Stadt und den See. Im Innern lassen einige kleinteilige Kammern den Geist der 1970er-Jahre leider wieder aufleben und hinterlassen ein etwas beengtes Gefühl. Auch fragt man sich, wie sieben bis zehn Bewohner in einem offenen Wohnzimmer, das zugleich Eingangsbereich ist, Ordnung halten können, fehlen doch eingebauter Stauraum oder ein Reduit.

Bild: Adrian Streich Architekten

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