Konstantin Grcic

Jenny Keller
27. März 2014
«Chair_One», Magis 2004, Sammlung Vitra Design Museum © KGID. Bild: Florian Böhm

Ich behaupte, Sie sind einer der wenigen Designer, die sogar von den Architekten geduldet oder gar schon bewundert werden. Im Wissen, dass die Architekten ja alles selbst und das meistens auch noch besser können (einen Tisch oder Stuhl designen beispielsweise) ist das eine ziemliche Auszeichnung. Haben Sie eine Ahnung, woran das liegen könnte?
(Lacht) Eine Antwort darauf, weshalb das sein könnte, habe ich natürlich nicht. Für mich ist das tatsächlich ein Kompliment, denn ich erfahre es immer wieder, dass meine Möbel von Architekten eingesetzt werden. Möbel sind zuallererst für die Menschen, die sie benutzen, die mit ihnen leben und arbeiten da, sie sind aber auch für Räume und Situationen gedacht – etwas, was die Architektur schafft. Und wenn nun Architekten finden, dass in meinen Möbeln etwas steckt, das in diese Situation passt, freut mich das.

In Ihren Arbeiten ist aber durchaus auch ein Bezug zur Architektur festzustellen. Zwei neue Entwürfe von 2014 sind mir dabei aufgefallen. Die Chaise «Man Machine», die Sie für die Galerie Kreo entworfen haben, ist zum Beispiel aus Glas. Sie schreiben dazu, das Material würde in der Architektur viel gebraucht, deshalb sei dieser Stuhl aus Glas. Oder der «Side Table» für BD Barcelona bestehe aus architektonischem Beton. Suchen Sie diese Nähe bewusst?
Ja, diese Nähe suche ich in Form von Bildern, die ich mir als Referenz bewusst beim Entwurf vorstelle. Beim «Chair_One» zum Beispiel, diesem Aluminiumstuhl1, den ich ursprünglich als Aussenmöbel entworfen habe, war es mir besonders wichtig, eine Art der Sprache, einen Massstab, oder sagen wir eine Form der Gestaltung zu finden, die überhaupt mit Gebäuden konkurrieren kann. Und zwar im Aussenraum. Wenn man ein Möbel nach draussen stellt, dann hat man es wirklich mit dem Gebäude in seiner wahren Grösse zu tun.

Auch «Landen», den wir einst für Vitra entworfen haben, und der in der Ausstellung im zentralen Raum mit dem Thema «Public Space» steht, wo ein 30 Meter langes Panoramabild eine Zukunftsvision zeigt, ist ebenfalls ein Möbel, bei dem ich einen Massstab und eine Sprache oder Grammatik finden wollte, die mit der Architektur in Bezug stehen kann. Das Betonmöbel, das Sie erwähnt haben, ist noch nicht ganz fertig. Das ist ein Projekt, das wir in Rom machen, und das sich sehr stark auf Pier Luigi Nervi und seinen ferro cemento bezieht, den er als Ingenieur entwickelt hat. Da nehme ich ganz klar Bezug darauf.
 
Bei den Glasmöbeln behaupte ich einfach, dass unsere Berührungsangst eigentlich kaum verständlich ist, wenn man sich bewusst wird, wie viel Glas ständig um uns herum ist. In der Architektur vertrauen wir dem Glas, da gehen wir sogar über Glasböden. Bei Möbeln hat Glas ein psychologisches Stigma. Die Chaise ist mit einer Mechanik ausgestattet; ich fordere den Benutzer also auf, das Möbel bewusst zu verstellen und so die Angst zu überwinden und Vertrauen zu gewinnen. Ein Glasstuhl aus flachem Glas ist relativ kühl und unbequem, aber dann kann ich die Rückenlehne verstellen und merke plötzlich, dass das Möbel auch anpassungsfähig ist.

Raum vier, «Object Space», Vitra Design Museum. Bild: Florian Böhm

Sie haben jetzt unbequem gesagt. Ich würde sagen, Ihre Möbelstücke wirken zum Teil etwas sperrig, und man hat den Eindruck, Sie wollen es dem Betrachter und Benutzer nicht leicht machen. Was steckt hinter dieser Attitude? Sind Sie ein Punk, ist es Rebellion? Liegt es an einem intellektuellen Konzept, das hinter den Entwürfen steht?
Also es ist nicht Punk und nicht Rebellion, was mir eigentlich beides sehr gut gefällt, aber in dem Fall nicht zutrifft. Es handelt sich um ein ernsthaftes Anliegen, Dinge zu hinterfragen.
 
Bequemlichkeit ist ein Begriff, der stark polarisiert. Ich höre ganz oft, dass meine Möbel unbequem seien, und ich würde behaupten, dass ich mich intensiver und ernsthafter mit diesem Begriff beschäftige als andere, und deshalb komme ich zu gewissen Veränderungen. Oder nennen wir es Versuche einer Änderung, einer Verbesserung. Doch diese Behauptungen von mir sind nie absolut zu verstehen. Ich glaube, bei Möbeln darf man auch etwas ausprobieren, um dann festzustellen, dass es nicht oder nur ganz selten funktioniert. Das ist ja ganz legitim, und da geht es uns Designern besser als den Architekten, denn ein Haus, wenn es gebaut ist, steht da 25 oder 50 Jahre...

... da gibt es aber leider auch ganz viele Beispiele, die nicht funktionieren.
Ja, aber der Schaden und die Verantwortung sind bei Architektur natürlich grösser, als wenn wir einen Stuhl unbequem machen und das später erkennen.
 
Ich möchte noch eine Parallele zur Architektur ansprechen, nämlich das Thema der digitalen Fertigung. Das ist zwar nicht mehr brandaktuell, wird aber immer noch als solches gehandelt. Sie haben die digitale Fertigung ja bereits mit dem «Chaos Chair» 2001 erprobt. Was kommt denn als nächstes?
Die digitale Fertigung ist schon längst Alltag. In den Medien wird sie banalisiert, finde ich, wenn man das Ganze nur noch darauf herunterbricht, dass in Zukunft jeder einen 3D-Drucker zu Hause hat, wo er seine Alltagsgegenstände ausdrucken kann. Das halte ich für ziemlichen Unfug. Aber die Industrie setzt diese Technologie schon längst sehr sinnvoll und intelligent ein. Sie bietet neue Möglichkeiten, was nicht bedeutet, dass das Alte abgelöst wird. Es stimmt nicht, dass es bald keine Fabriken mehr geben wird, weil alles nur noch 3D-gedruckt wird. Aber es gibt die Möglichkeit, diese Dinge in Addition zum Handwerk einzusetzen.
 
Wenn man über Digitales spricht, wäre die interessantere Frage, ob denn der Computer oder der Algorithmus den Designer, den Autor ablösen wird. Ich glaube, auch diese Entwicklung muss man dulden, denn das wird in gewisser Weise passieren. Das bedeutet aber nicht die komplette Bedrohung eines Berufstands. Es wird immer die Designer, die Architekten oder die Gestalter geben. Man wird sich anpassen müssen, und es werden Verschiebungen stattfinden.

«Mayday», Leuchte, Flos, 1999. Sammlung Vitra Design Museum. Bild: Andreas Sütterlin

Ich glaube auch nicht, dass der Algorithmus den Designer je ersetzen wird, und die digitale Fertigung kann ja auch als modernes Handwerk verstanden werden. Wie wichtig ist denn das Handwerk, und wie wichtig ist ein intellektuelles Konzept für das Endprodukt, den Entwurf eines Möbelstücks?
Mir wird immer bewusster, wie wertvoll das Handwerk ist. Wenn wir eben unter Handwerk nicht nur romantisierend den Schreiner meinen, der mit dem Handhobel übers Holz fährt, sondern wenn Handwerk die fundierte Kenntnis von etwas bedeutet. Erst wenn man das Handwerk beherrscht, kann man über das starre Korsett einer Regel hinausgehen. Wie der Pianist, der erst improvisieren oder komponieren kann, wenn er das Klavierspiel beherrscht. Man unterschätzt – leider leistet die Designschule ihren Beitrag dazu – den Einfluss des Handwerks. Die Designausbildung ist oftmals nur noch eine Vorbereitung auf das zukünftige Berühmtsein. Dass es um ganz reales Wissen geht, wird oft ein bisschen unterschlagen.

Ausschnitt des Panoramabilds von Neil Campbell Ross in Raum drei «Public Space». Bild: Florian Böhm

Sie haben die Szenographie im Deutschen Pavillon an der Architekturbiennale 2012 in Venedig gemacht. Ihr Beitrag war viel beachtet und in meinen Augen einer der besten, gerade weil das Thema «Reduce/Reuse/Recycle»2 so perfekt auf den Punkt gebracht wurde. Wie kommen Sie auf das Kondensat einer so guten Idee, geschieht das im Team oder stecken Sie alleine dahinter?
In diesem Falle war ich es alleine. Die Idee dieser Umsetzung des Themas ist alleine entstanden. Das Projekt war aber eine Teamarbeit, zusammen mit dem Kurator des Pavillons, Muck Petzet. Die Idee zur Vermittlung habe ich mir erarbeitet. Es ist nicht so, dass ich eines Tages aufstand, und die Idee lag vor mir – obwohl sie ja im wahrsten Sinne des Wortes in Venedig am Boden liegt. Man muss diese Idee finden, das ist schliesslich die Arbeit, die ein Designer leistet. Ich habe das Projekt wie alle Projekte im Büro mit einer Assistentin entwickelt.
 
Ich habe vier Designassistenten. Ich halte das Büro extra klein, denn ich will nicht der Manager eines grossen Büros sein. Jede Aufgabe erarbeite ich eins zu eins mit einer Assistentin oder einem Assistenten. Ich bin von Anfang bis Ende in ein Projekt integriert. Aber gerade am Anfang, bei der Ideenfindung, arbeite ich ganz alleine.

Deutscher Pavillon an der Architekturbiennale in Venedig 2012 © RRR

Abschliessend würde mich interessieren, wie man sich fühlt, wenn zu Lebzeiten Ausstellungen über einen konzipiert werden? Die hier im Vitra Design Museum ist ja nicht die erste.
Das fühlt sich seltsam an. Wir haben die letzten zwei Jahre an der Ausstellung gearbeitet. Das war spannend, denn es ist eine Form, seine Arbeit zu reflektieren. Aber manchmal wünschte man sich den Abstand, den man hat, wenn man eine Ausstellung über etwas anderes macht. Es ist ein schwieriger Prozess...
 
... wie beim Psychiater?
 Ja, so ein bisschen, nur dass man in dem Fall sein eigener Psychiater ist.

Konstantin Grcic. Bild: Markus Jans
Konstantin Grcic (geboren 1965 in München) ist einer der grossen zeitgenössischen Designer mit Weltruf. Seine Entwürfe sind in den Sammlungen zahlreicher wichtiger Museen zu finden. Nach einer Ausbildung zum Möbelschreiner in England und dem anschliessenden Master of Arts in Design am Royal College of Art in London gründete er 1991 sein Studio Konstantin Grcic Industrial Design (KGID) in München.

Ausstellung: Konstantin Grcic – Panorama
bis 14. September 2014
Vitra Design Museum, Weil am Rhein (D)
Öffnungszeiten: Täglich 10 bis 18 Uhr
Öffentliche Führungen: Jeden Samstag, Sonntag und Feiertag um 11 Uhr

Zur Ausstellung erscheint ein 320-seitiger Katalog mit einem umfassenden Werkverzeichnis und Essays u.a. von Richard Sennett, Peter Sloterdijk, Paola Antonelli und Mario Carpo.

Anmerkungen
1) Es handelt sich um Grcics bekanntesten Stuhl von 2004, der bereits als Designklassiker gilt.

2) Mit einer einfachen Typographie und kurzen Beschrieben auf recycelten «Bänken» – die man kennt, wenn man schon mal bei Hochwasser in Venedig war – wurde das Konzept stringent bis zum Ende geführt.

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