Museumswetter

Jenny Keller
4. Juli 2012
Müll, Kunst oder beides? Der Haufen liegt im Museum für Gestaltung Zürich. Bild: jk

«Endstation Meer? Das Plastikmüll-Projekt» ist vom 4. Juli bis zum 23. September 2012 im Museum für Gestaltung zu sehen. Schuld ist der nordpazifische Plastikmüllstrudel. Er gab den Anlass zur Ausstellung. Christian Brändle, der Direktor des Museums las darüber in einem Beitrag des NZZ-Folio. Und war nachhaltig beeindruckt. Das also ist die Endstation des Design, das man sonst im Museum ausstellt, dachte er sich und war schockiert. Und so beschloss man, diese Thematik zu einer Ausstellung zu machen. Mehr als 6,4 Tonnen Plasikmüll landen jedes Jahr im Meer und verwandeln dieses in eine Plastiksuppe. Aufgrund der Strömung bilden sich Strudel, der grösste im Pazifik hat eine Fläche, die grösser ist als Mitteleuropa. Weil herkömmlicher Plastik nicht abbaubar ist, wird er zu immer kleineren Stückchen aufgebrochen und gelangt in die Nahrungskette. Albatrosse verenden dann mit vollen Bäuchen, weil sie verhungern.

Chris Jordan Midway: Message from the Gyre, Serie seit 2009, Foto: © Chris Jordan, Courtesy of Christophe Guye Galerie

Die Vermittlung steht im Vordergrund
Das klingt furchtbar, ist es auch. Aber ein Besuch im Museum lohnt sich definitiv. Auch oder gerade mit Kindern, denn die Ausstellung legt einen grossen Wert auf die Vermittlung. So werden Studien, Filme und Websites vorgestellt und verschiedene Designwerkstätten, Ausstellungsgespräche, oder ein Erzähltheater finden zusätzlich zur eigentlichen Ausstellung statt.

Grundriss der Ausstellung. Bild: mfg

«Wenn man sich mit Abfall beschäftigt, ufert das immer aus», erklärt Brändle zu Beginn der Führung. Trotzdem ist es dem Kuratorenteam, dem neben Christian Brändle auch Angeli Sachs angehört, gelungen, den Abfallberg zu triagieren. Die Besucher erwartet beim Betreten der Haupthalle eine riesige Plastikmüllskulptur, die anschaulich darstellt, wie ausufernd das Problem in der Tat ist. Aber es kann auch mit einem Augenzwinkern gelesen werden, denn man fragt sich unweigerlich: Ist das nun Kunst oder einfach Müll? Oder Müllkunst? Das Material der Installation stammt aus verschiedenen Weltmeeren, es wurde bei Strandsäuberungen auf Hawaii, an der Nordsee und der Ostsee gesammelt.

Plastikbecher, Fundstück aus dem Plastikschwemmgut, Museum für Gestaltung Zürich, Foto: U. Romito, © ZHdK

Umdenken
Das Denken in Kreisläufen soll nach dem Besuch der Ausstellung aktiviert werden, beschreibt Angeli Sachs das Ausstellungskonzept. Sie selbst verhalte sich ganz anders, seit sie an der Ausstellung arbeitet, und beantwortet schon die Frage, weshalb eine Ausstellung, die das Meer zum Thema hat, ausgerechnet in der Schweiz stattfindet: Wir haben den grössten Plastikmüllausstoss, es sind 40 Kilogramm pro Jahr und Mensch. Auch unsere Rohschinkenverpackungen, die unsinnigerweise mit einzelnen Plastiklagen die Tranchen voneinander trennen, landen in den Weltmeeren. Ebenso die Plastiktüten, die in jedem Coop und jeder Migros gratis bei der Kasse liegen und kaum halten, sodass man die Rohschinkenverpackung in zwei Lagen Plastik einpackt! Damit man die Ausstellung, die doch ziemlich unter die Haut geht, nicht total deprimiert wieder verlässt, werden auch Strategien aufgezeigt, wie wir mit dem Plastikmüllproblem umgehen können.

Goodbye Kitty... Bild: jk

Und weil die Ausstellung sehr konzeptionell ist, schliesslich lehrt Frau Sachs auch das Konzipieren von Ausstellungen an der ZHdK, sind die Infos nicht mit Plastikklebern, sondern magnetisch auf die Holzpaletten befestigt. Statt einer Publikation in Buchform haben sich die Ausstellungsmacher für eine Website entschieden. In der Erklärung dazu fehlte aber leider der umweltbewusste Aspekt, gibt es doch bei einer Website praktisch keine Hardware, die man anschliessend wegwerfen würde (ausser dem veralteten Computer). Christian Brändle begründet den Entscheid damit, dass die Ausstellung wie der Plastikmüll touren wird, von den Niederlanden über Deutschland und Finnland bis nach Dänemark. Weil verschiedene Länder verschiedene Aspekte in den Vorrdergrund stellen möchten, eigne sich das flexible Instrument der Website besser als ein Buch, wie wir wissen.

Der Ende des Kreislaufs
Sollte es weiter regnen in diesem Sommer, und die Flüsse überborden irgendwann, sollte man sich an die Aussage von Stefan Kraft erinnern, dem Präsidenten der drosos Stiftung, die die Ausstellung unterstützt: Der Pegelstand eines Flusses lasse sich nach einem Hochwasser auch in der Schweiz an den Plastikmüllresten erkennen, die in den Bäumen und am Flussufer hängengeblieben sind. Hoffen wir, dass es nicht so weit kommt.

Eine Auswahl weiterer Ausstellungen:

Vitra Design Museum, Weil am Rhein, Deutschland
Gerrit Rietveld – Die Revolution des Raums
Der gelernte Schreiner hat mehr vorzuweisen als den Rot-Blauen-Stuhl, das Schröder-Haus und seinen Einfluss auf die de Stijl-Bewegung. Die Ausstellung in Weil zeigt Rietveld, der spät als Architekt zu Ruhm und Ehre gelangte, als einen der ersten Vertreter des Open-Designs, er experimentierte mit Recyclingmaterialien, schuf aus herkömmlichen Möbeln neue Stücke (das ist heute als «Ikea-hacking» bekannt), und ist deshalb von einer beeindruckenden Aktualität.
bis 16 September 2012

Galerie Patricia Low Contemporary, Genf
Kirstine Roepstorff
When a Drop Unites
bis 31. Juli 2012

Museum Tinguely, Basel
Tatlin. neue Kunst für eine neue Welt
bis 14. Oktober 2012

Kunstmuseum St. Gallen
Pipilotti Rist
Blutbetriebene Kameras und quellende Räume
bis 25. November 2012

Zentrum Paul Klee, Bern
Meister Klee! Lehrer am Bauhaus
31. Juli 2012 bis 06. Januar 2013

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