Über das Verhältnis von Stadt und Natur

Jenny Keller
19. Januar 2012
Christophe Girot.

Der Landschaftsarchitekt und der Zukunftsforscher legten ihre Sicht auf das Thema in zwei einzelnen Vorträgen dar. Dennoch kann man am Ende zusammenfassen, dass es um eine gewisse Verhältnismässigkeit geht, um das Verhältnis zwischen bebauter Fläche und Grünraum, zwischen Stadt und Natur, aber auch um die Verhältnismässigkeit unserer Gedanken und Vorurteile. Aber nun alles der Reihe nach.

Warum falsch verstandener Naturschutz in die Irre führe, erläuterte Christophe Girot, Landschaftsarchitekt und ETH-Professor, in seinem sehr akademischen Vortrag. Seine äusserst intelligenten und spannenden Thesen waren leider aufgrund der Tatsache, dass er den Text vollständig ablas, nicht immer leicht nachvollziehbar, weil ein geschriebener Text sich nicht unbedingt als gehaltener Vortrag eignet. Trotzdem sollen hier einige Kernthemen zusammengefasst werden.


Immanente Landschaft oder kommende Urbanität
Die Zersiedlung sei zu stoppen, diese Tatsache werde als «common sense» betrachtet in unserer Gesellschaft. Doch Girot ist der Meinung, dass heute ein Punkt erreicht worden ist, an dem es kein Zurück mehr gibt. Vielmehr müsse man sich heute fragen, weshalb uns eine Haltung gegenüber der Natur abhanden gekommen sei. Diese Haltung nennt er auch «Natur-Ontologie». Solche gewichtigen Worte seien zu gebrauchen, um die Notwendigkeit dieser Forderung zu unterstreichen. Weil man immer noch im Denken, das aus der Zeit der Väter stammt, feststeckt, sei es an der Zeit, unsere Einstellungen zu hinterfragen. Wie der Marxismus sei die Ökologie eine unhaltbare Utopie.

Das Umdenken und Sich-Entfernen von alten Denkmustern müsse bewirken, dass neue symbolische Naturordnungen gesucht werden, nicht die Ur-Natur solle verteidigt werden. Vielmehr sei die Natur in die Stadt zu integrieren. Als gelungenes Beispiel nannte er den oberen Letten, der von einer offenen Drogenszene in ein städtisches Naherholungsgebiet transformiert worden ist. Es benötige Landschaftsarchitekten, die grundlegende Entscheidungen während der Planung einer Stadt oder eines Quartiers treffen, das Fehlen einer urbanen Landschaftsarchitektur sei Grund für die ökologischen Versäumnisse.

Beispiel New York - Stadtlandschaftsarchitektur
Natürlich kann auch im Nachhinein durch chirurgische Eingriffe, wie Girot es nennt, ein Stadtraum operiert werden, wie eben in New York mit der High Line, ein ehemaliges Hochbahntrassee in Manhattan, das heute renaturiert zum Park auf Stelzen wurde und ein beliebtes Ausflug- und Besucherziel darstellt. Gleichzeitig fehlten aber heutige Interventionen wie damals, als man eine Vielzahl von Barracken abreissen liess, um Raum für den Central Park zu schaffen.

Christophe Girot glaubt an eine positive Rückkehr der Landschaft in die Stadt, doch dafür sei auch eine neue Entwurfsmethodik nötig, die an der ETH entwickelt werde. Man müsse sich von bukolischer Symbolik und einer veralteten ländlichen Idylle verabschieden, und eine andere Naturkonzeption entwickeln.

Die Zukunft wird gut
Optimistisch und sehr überzeugt schaute Matthias Horx, der Zukunftsforscher (und Bauherr eines Future Evolution House) nach vorne.

Matthias Horx.

Als Megatrend, so werden in seiner Disziplin robuste und langfristige Entwicklungen genannt, gilt die Urbanisierung. Während im Jahre 1900 10 Prozent der Bevölkerung in den Städten lebte, seien es heute 50 Prozent. Der Druck auf die Städte sei also schon vorüber, auch wenn im Jahre 2050 9.3 Milliarden Menschen die Welt bevölkern und davon 75 Prozent in Städten leben werden. Dann aber werde die Weltbevölkerung schrumpfen, und im übernächsten Jahrhundert könnte eine unserer grössten Sorgen die Sprengstoffknappheit sein, denn die leerstehenden Häuser müssen auch wieder zerstört werden.

Tatsache sei, dass wir Energie sparen, wenn wir zusammenrücken. In dichten Städten wie Hongkong, Wien oder Monaco werde viel weniger Energie verbraucht, weil man nicht auf das Auto angewiesen ist wie in einem «urban sprawl».

Es sei Zeit, sich von Utopien zu verabschieden und Klischees aufzugeben, um die zukunftsfähige Stadt zu sehen. Slums zum Beispiel seien nicht zwangsläufig negativ, sondern eine Ansammlung von «Micro-Entrepreneurs», die versuchen aus dem wenigen, das sie haben, ein Geschäft zu machen. Die Vorreiterrolle von Europa begründet sich denn laut Horx auf der mittelalterlichen Stadt, die eine Stadtmauer um einen funktionierenden Markt gezogen hat und so zu Aufschwung gekommen ist. Die Moderne hat diese Einheit wieder zerstört, indem man die Stadt mit Wegen und Strassen gespalten hat.

Blick ins 22. Jahrhundert
In Zukunft würden die Häuser Energie erzeugen und die Stadt und die Natur gingen eine Symbiose ein. Nicht die Rückkehr der idyllischen Natur in die Stadt stehe im Vordergrund, sondern vielmehr werde die Natur in Form der Landwirtschaft zwischen unseren Häusern erblühen. Die Zukunft sei das «Co-Housing»: Neue kooperative Siedlungsformen wie zum Beispiel das Moriyama Haus in Tokio werden Zukunft haben, und dabei sei nicht eine Alters-WG gemeint, die funktioniere sowieso nur mit Demenzkranken, alle anderen Menschen seien zu eigen, um in einer solchen Wohnform glücklich zu werden. Die architektonische Zukunft der Städte bestehe in Rekombinationen von Bestehendem.

Nach den beiden Vorträgen ist klar: Wir müssen uns lösen von vielen Vorurteilen, Bildern, Auffassungen und Klischees, die wir seit Generationen als unantastbar anschauen, wenn wir unsere Städte zukunftsfähig gestalten wollen. Ein schwieriger Prozess. Aber einer mit Zukunft.

Swissbau Focus
Swissbau Focus setzt sich mit den Herausforderungen nachhaltigen Bauens und Erneuerns auseinander. In den Themenanlässen, Workshops und der Swissbau Focus Arena werden Fachkompetenzen vermittelt, die Vernetzung der Marktteilnehmer gefördert, Haltungen kontrovers diskutiert und Wege zu kreativen Lösungen aufgezeigt. Die Veranstaltungen sind kostenlos und finden in der Halle 1.2 statt.

Future Evolution House

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